Zur Ausstellung „Bernhard Heisig – Geburtstagsstilleben mit Ikarus“ im Museum der bildenden Künste
Aus Anlass des 100. Geburtstages von Bernhard Heisig ehrt das Museum der bildenden Künste Leipzig den bedeutenden Maler und Grafiker mit einer Kabinettausstellung. Bis zum 9. Juni 2025 werden Werke aus der Sammlung, wichtige Leihgaben und die Biografie des Künstlers markierende Exponate gezeigt. Wir würdigen den auch Vater der Leipziger Schule genannten Bernhard Heisig mit einem Essay
Von Barbara Röhner
Bernhard Heisigs veränderliche Kunstwerke
Es ist kein Geheimnis, dass Bernhard Heisig sogar in laufenden Ausstellungen oder nach Leihgaben seine Arbeiten veränderte. Prominentes Beispiel für Letzteres ist der „Brigadier II“ von 1970, den das Museum der Bildenden Künste 1979 mit dunklem Hintergrund und schmutzigen Händen und Gesicht vom Künstler verändert wiederbekam. Ebenso gesellte sich im Museum der Bildenden Künste zum Triptychon Pariser Kommune von 1970 über Nacht ein schmaler vierter Teil hinzu. Beide Werke sind in dieser Kabinettausstellung nicht zu sehen, wurden bzw. werden jedoch in der ständigen Ausstellung des Museums gezeigt und bilden somit eine Verbindung zur Jubiläumsausstellung anlässlich des 100. Geburtstages von Bernhard Heisig unter dem Titel „Geburtstagsgruß mit Stilleben“.

© VG Bild-Kunst, Bonn 2025
Symbolik und Motive in Heisigs Werken
Gleichnamiges Gemälde von 1985 zeigt ein von Malerkollegen zum 60. Geburtstag geschenkte Ikarusfigur mit Raketenantrieb und roter Zipfelmütze inmitten von Blumensträußen. Allein das Ikarus-Motiv, was in Heisigs Arbeiten immer wieder aufgegriffen wird, lässt bereits einige Höhen und Tiefen im Leben des Künstlers erahnen.
Karriere zwischen Anpassung und Kritik
Heisig, der neben Werner Tübke, Wolfgang Mattheuer und Gerhard Kurt-Müller als Mitbegründer der Leipziger Schule gilt, hatte 1961 als Professor und Direktor der Hochschule für Grafik und Buchkunst dort eine Malklasse eingerichtet, wurde aufgrund seiner Kritik an der Kulturpolitik der SED, insbesondere des „Bitterfelder Weges“, als Rektor suspendiert und erst unter Erich Honeckers Ägide rehabilitiert. Von da an ging Heisigs Karriere steil nach oben. Zwei Nationalpreise wurden ihm verliehen. Er war Vorsitzender und Vizepräsident des Verbandes Bildender Künstler der DDR sowie Mitglied der SED-Bezirksleitung in Leipzig. Heisig, der 1972 in einem Artikel des Journals Bildende Kunst fragte, „Wo bleibt der sozialistische Kunsthandel?“, nahm fünf Jahre später an der Dokumenta 6 in Kassel teil, woraufhin zahlreiche Ausstellungen und Ankäufe in der Bundesrepublik folgten. Insbesondere Peter Ludwig kaufte viele seiner Bilder und reihte sie in seine Sammlung von Kunst aus der DDR im Schloss Oberhausen ein. Nach der politischen Wende geriet Bernhard Heisig jedoch unter Beschuss im deutsch – deutschen Bilderstreit. Weder sein Austritt aus der SED noch die Rückgaben der Nationalpreise halfen ihm, nicht als „Staatskünstler“ diffamiert zu werden. Mit dem Aufkommen des Labels der „Neuen Leipziger Schule“ gewann jedoch wieder sein künstlerischen Schaffen an Aufmerksamkeit.
Die Schatten des Zweiten Weltkriegs
Was Heisig jedoch Zeit seines Lebens begleitete, war seine Täter-Opfer-Erfahrung im II. Weltkrieg. Als Mitglied der Waffen-SS wird er der 12. SS-Panzer-Division zugeteilt und nimmt trotz einer schweren Verwundung an der Ardennenschlacht teil. Zu Beginn des Jahres 1945 ist er an den Kämpfen um die „Festung Breslau“ beteiligt, wird wieder verletzt und gerät in sowjetische Kriegsgefangenschaft von wo er als Kriegsversehrter noch im selben Jahr entlassen wird. All diese traumatischen Erfahrungen fanden vor allem Eingang in den zur Jubiläumsausstellung präsentierten Historienbildern zur Völkerschlacht, Pariser Kommune, Naziherrschaft und den Militärputsch in Chile 1973 immer mit Bezug auf die Gegenwart.
So auch das Ölgemälde „Der kleine Katastrophenfilm“, das sämtliche Tragödien der Menschheit vereint, angefangen von der biblischen Erzählung des Turmbaus zu Babel bis hin zur Massenberieselung durch Film und Fernsehen. Im Ölbild „Als ich die Völkerschlacht malen wollte II“ von 1973greift Heisig mit einer Napoleon-Marionette auf der Weltkugel das Motiv einer Flugblattkarikatur auf und holt diese mit seinem mehrfach übermalten Konterfei in seine eigene Zeit. Die Breslauer Brücke im Hintergrund ist wie in anderen Bildern auch hier ein Zitat aus seiner ganz persönlichen Vergangenheit und kann dennoch symbolisch als Verbindung in verschiedene Zeitebenen gedeutet werden.

Sowohl Befragungen und Zweifel als auch Vergewisserungen setzen sich auch in Heisigs zahlreichen Selbstporträts aus den Jahren 1956 bis 1988 fort. Hier wählte er die Kreide-Lithografie als bevorzugtes Metier, die er auch für die Erfassung verschiedener Zustände von Ölgemälden nutze und ebenso für Buchillustrationen und Grafikmappen.

MdbK © VG Bild-Kunst, Bonn 2025
Was den Kulturfunktionären bereits in Heisigs frühen Werken missfiel, war das Festhalten unheroischer Ereignisse des Wartens und Bangens während kriegerischer Auseinandersetzungen. Hier wusste er die Stimmungen und Atmosphäre einzufangen, die näher an der Realität waren als all die glorifizierenden Historiengemälde sozialistisch realistischer Prägung.
Auch sah sich Bernhard Heisig Zeit seines Lebens der Malerei Adolph Menzels, Lovis Corinths und insbesondere Max Beckmanns verbunden. Daher setzte sich Bernhard Heisig auch 1984 für die Herausgabe einer Grafik-Edition anlässlich des 100. Geburtstages von Max Beckmann ein, gewann dafür Hans Marquardt als langjährigen Verlagsleiter des Reclam-Verlags und verfasste mit ihm den Begleittext. Ein Jahr später würdigt Heisig Hans Marquardt in einem beeindruckenden Porträt in Öl, welches ebenfalls in der Ausstellung zu sehen ist.
Sein Können als Porträtmaler ist auch dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt nicht entgangen, der ihn just für ein Porträt zur Ergänzung der Kanzlergalerie im Pressesaalfoyer des Berliner Bundeskanzleramtes erkor. Aber auch hier fertigte Heisig wieder mehrere verschiedene Fassungen an. Davon ist in der Ausstellung wohl die erste Begegnung Schmidts in Bernhard Heisigs Leutzscher Atelier festgehalten worden, denn offensichtlich beeindruckt vom Ambiente schaut dieser empor, wiederum umgeben von einem bedrohlichen Welttheater aus Totenschädel und gekreuzigtem Christus. Bei diesem Bild handelt es sich um eine Dauerleihgabe der Peter und Irene Ludwigstiftung. So nimmt es nicht Wunder, dass Heisig auch Peter Ludwig porträtierte, umgeben von seinem gebundenen Wissensschatz.

Dauerleihgabe der Peter und Irene Ludwig Stiftung © VG Bild-Kunst Bonn, 2025
Eine Ausstellung voller Kontraste
Ergänzt wird die klug komponierte Ausstellung der Kuratoren Dietulf Sander und Philipp Freitag aus 15 Gemälden und 32 Druckgrafiken aus den Jahren 1956 bis 2005 durch Fotografien von Helfried Strauß und Bernd Wittwer, die den Künstler Bernhard Heisig vorwiegend in den 1980er Jahren zeigen, sei es mit seiner geliebten Trompete im Atelierfenster oder im Kreise von Kollegen. Nur die einzige Leihgabe der Ausstellung, die Diplomarbeit „Von Mensch zu Mensch“ von Reiner Heim aus dem Archiv der Hochschule für Grafik und Buchkunst, zeigt das charismatische Gesicht Bernhard Heisigs ausgerechnet aus dem Jahr 1968, als der Künstler seine Lehrtätigkeit aufgab aber nie seine Kunst – eine Kunst, die bis heute zum nachdenken anregt und uns auch den Künstler dahinter in seiner ganzen Ambivalenz näherzubringen vermag.

des Ateliers, Zum Harfenacker 6, 1980/85,
Fotografie © Künstler
„Bernhard Heisig. Geburtstagsstilleben mit Ikarus“
- März bis 9. Juni 2025
Museum der bildenden Künste Leipzig
Katharinenstraße 10
04109 Leipzig
Öffnungszeiten
Dienstag, Donnerstag bis Sonntag | 10–18 Uhr
Mittwoch | 12–20 Uhr
Feiertage | 10–18 Uhr
Montag geschlossen
Eintritt:
10 Euro | ermäßigt 5 Euro | Gruppe 7,50 Euro pro Person
Credits
Text: Dr. Barbara Röhner, Kunstgeschichtlerin und Kuratorin, Leipzig
Fotos: © am Bild | Titelfoto © MdbK
veröffentlicht 2.4.2025
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