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Annaberg-Buchholz: Wo die Puppen nicht nur tanzen

Annaberg-Buchholz: Wo die Puppen nicht nur tanzen

„Der Vetter aus Dingsda“ für ein Duo mit Figurenein

Ein Format etwas außer der Reihe erprobt gerade das Eduard-von-Winterstein-Theater in Annaberg-Buchholz. Hier gibt es den „Vetter aus Dingsda“ als puppiges Operettical mit zwei Künstlern auf der Studiobühne. Was beim Lesen etwas schräg anmutet, entpuppt sich beim Zuschauen als höchst unterhaltsamer Abend.

Von Rainer Nebel

Szene mit Peggy Einfeldt vor der Kulisse des Stückes

Mitunter treffen in der Welt der Kunst Personen zusammen, die ein optimales Duo oder Trio bilden. Ihnen fallen bestimmt einige Beispiele aus Theater oder Fernsehen ein. Etwas Derartiges hat sich auch in Annaberg-Buchholz ereignet. Bereits 2022 inszenierte Jasmin Sarah Zamani einen Liederabend auf den Spuren des im Erzgebirge äußerst beliebten Dichters und Sängers Anton Günther (1876-1937). Auf der Bühne standen dabei der Tenor Richard Glöckner und als Musikalische Leitung und Begleitung Peggy Einfeldt. Kurz nach der Premiere des Liederabends musste dieser aus Platzgründen von der Studio- auf die Hauptbühne umziehen. Auch dort war er dann oftmals ausverkauft.

Im April 2024 hatte nun eine neue Zusammenarbeit dieser drei Künstler (vorerst) auf der Studiobühne Premiere: „Der Vetter aus Dingsda“. Die Inszenierung zu Beschreiben fällt im ersten Moment nicht leicht. Die Handlung der Operette bleibt im Kern erhalten, sie wird nur etwas gerafft. Fast alle Musiknummern kommen ebenfalls zu gehör. Beworben wird das Ganze als „puppiges Operettical“, was die Richtung gut angibt.

Wenn Puppen singen

Verkörpert werden alle Figuren durch extra für dieses Stück gefertigte Klappmaulpuppen. Und gespielt werden alle Puppen von Richard Glöckner. Die musikalische Begleitung erfolgt durch Peggy Einfeldt an Klavier, Akkordeon, Becken und anderen Instrumenten, gern auch gleichzeitig. Wobei Begleitung es nicht so richtig trifft: Es ist eher ein Mitspielen in einem Zwei-Personen-Stück mit Tanz und Gesang. Zeitweise hat man aufgrund der Vielfalt des Dargebotenen den Eindruck eines Varietés.

In der Handlung erlebt der Zuschauer das Werben dreier junger Männer um die reiche Erbin Julia de Weert mit allerlei Irrungen und Täuschungen. Von Vorteil bei der Umsetzung ist, dass auch im Original alle drei Männer Tenöre sind. Aber auch der Bass und die Altstimme von Julias Onkel und Tante übernimmt Richard Glöckner. Jede Figur hat neben der Tonlage auch eine eigene Sprechstimme. Vollends grandios sind dann die Terzette bzw. Quartette, welche Glöckner allein bestreitet.

Richard Glöckner mit den Puppen von Onkel und Tante

Verstehen, mitmachen, schmunzeln …

Der ganze Abend, 100 Minuten ohne Pause, ist erfrischend. Ständig geschieht Unerwartetes, man ist permanent überrascht und sicher kann man die Inszenierung bei so viel Fülle auch mehrmals anschauen. Ganz nebenbei wird sich über vieles lustig gemacht, nicht zuletzt über sich selbst. Als Zuschauer ist man neben hören, sehen, verstehen, mitmachen, schmunzeln und lachen auch damit befasst, sich auf neue Sicht- und Ausdrucksweisen einzustellen und den Alltag gründlich hinter sich zu lassen. Nach der Aufführung ist man von soviel Input angenehm erschlagen und fragt sich, wie es erst den herumwirbelnden Darstellern gehen muss.

Dabei sind bei der munteren Interpretation des Stoffes durchaus zeitgemäße Fragen berücksichtigt worden. Immerhin ist das Original aus heutiger Sicht stellenweise fragwürdig: Junges Mädchen soll aufgrund Ihres Reichtums bei Volljährigkeit mit einem Verwandten des Vormundes verheiratet werden, um das Geld in der Familie zu halten. Letztendlich tut sie dies auch, im Grunde ohne die Welt und viele weitere Männer kennen gelernt zu haben. Und fast alle sind glücklich. In der Inszenierung wurden Wege gefunden, das Werk nicht zu verbiegen und trotzdem auf Probleme hinzuweisen.

Nachsatz

Mein einziger Seufzer bei dem Ganzen sind, wie schon beim Anton-Günther-Abend, die Pressefotos. Dem Unkundigen vermitteln die Bilder nicht annähernd einen Eindruck des Abends. Auf manch einen Betrachter wirken sie nicht einmal positiv bewerbend. Aber vielleicht ist das gekonnte ins Bild setzen eines solchen Sujets auch kaum machbar.

Annotation

„Der Vetter aus Dingsda“, Puppiges Operettical mit all-in-one Besetzung basierend auf dem Original nach einem Lustspiel von Max Kempner-Hochstädt, Buch von Herman Haller und Rideamus, Musik von Eduard Künneke. Inszenierung: Richard Glöckner / Jasmin Sarah Zamani, Musikalische Leitung: Peggy Einfeldt, Ausstattung: Richard Glöckner / Jasmin Sarah Zamani; Puppenbau: Paul Ebell / Alexander Müller-Leichsner, Dramaturgie: Asia Schreiter

Besetzung

Richard Glöckner / Peggy Einfeldt

Erzgebirgische Philharmonie Aue

Premiere 21.4.2024; besuchte Vorstellung: 24.4.2024 Theater Annaberg-Buchholz; veröffentlicht 4.5.2024

Weitere Vorstellungen

Do         09.05.24             20.00 Uhr

Do         16.05.24             20.00 Uhr

und voraussichtlich in der kommenden Spielzeit

Credits

Text: Rainer Nebel, freier Theaterkritiker, Leipzig

Fotos: © Dirk Rückschloß / Pixore Photography

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