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Das erste Haus am Platze

Das erste Haus am Platze

Henner Kotte im Gespräch zu seinem Buch „Astoria“ Leipzig.

Das Hotel „Astoria“ ist aus der jüngeren Stadtgeschichte Leipzigs nicht wegzudenken. Dies gilt nicht nur für die heute mittlere Generation und aufwärts. Die wechselnden Fake News über seine Wiedereröffnung in den vergangenen 20 Jahren, haben jugendliche Neugier geweckt.

1915, mitten im Ersten Weltkrieg, eröffnet, gehörte Leipzigs „Astoria“ zu den ersten Adressen Deutschlands. Hier logierten Johannes Heesters, Henny Porten, Hans Albers… Auch in der DDR bewahrte das „Astoria“ – nunmehr als Interhotel – seinen Glanz. Insbesondere zur Messezeit beherbergte das Haus Gäste aus aller Welt. Nach 1989 gaben sich Stars wie David Hasselhoff, Mario Adorf, Steffi Graf oder David Copperfield die Klinke in die Hand. Erst am 31. Dezember 1996, nach 81 Jahren, ist damit Schluss. Bis heute ist es nicht gelungen, das Haus wieder zum Leben zu erwecken.

2020 war – oh Wunder – nach langer Umbauzeit endlich die Auferstehung und Wiedereröffnung dieser Leipziger Ikone geplant. Für solchen schönen Anlass hat der Leipziger Autor Henner Kotte auf Grundlage umfangreicher Recherchen eine prächtig ausgestattete „Astoria“-Biografie verfasst. Sie erschien im Mitteldeutschen Verlag Halle. Zu der Wiedereröffnung wird es in absehbarer Zeit nicht kommen. Feiern wir also das Buch!

Henner Kotte, geb. 1963, lebt seit 1984 in Leipzig. Er hat Germanistik in Leipzig, Moskau, Stuttgart und Dresden studiert. Heute ist Kotte Schriftsteller, u. a. von Krimis, Kulturredakteur und Stadtführer in Leipzig. Seit 2029 ist Kotte ständiger Theaterkritiker und Autor auf unserem Blog Kunst und Technik online

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Henner Kotte, Sie nutzen wie ich ausschließlich den Öffentlichen Personennahverkehr Leipzigs. Täglich führen all unsere Wege am Hauptbahnhof und an den Resten des 1915 bewusst in dessen unmittelbarer Nachbarschaft errichteten Hotel „Astoria“ vorbei. Immer, wenn ich dort die heruntergekommene Fassadenverkleidung vor der trostlosen Bauruine hängen sehe, wird mir ganz anders. Wie geht es Ihnen damit?

Ja, seit 25 Jahren ein trostloser Anblick. Jeder alte Leipziger verbindet mit dem Astoria Erinnerungen, sei es an berühmte Gäste (Stars und Fußballmannschaften, Schalck-Golodkowski oder Udo Jürgens), sei es an Intershop, Frisör oder Omas 80. Die Ruine ist ein Sinnbild, wie mit ostdeutschen Erinnerungen umgegangen wird. Und wird der Bau nicht wieder zum Hotel – dann ist die Geschichte ganz gestrichen. Traurig, und erklärt auch manchen Frust.

Sie sind bekannt als Autor von Kriminalromanen und ein nimmer müder Chronist von Straftaten und Ganovengeschichten quer durch die Zeiten. Liegt für Sie mit der 26jährigen Nicht-Baugeschichte des traditionsreichen Unternehmens „Astoria“ ein Kriminalfall vor?

Am Ende: Ja. Aber das Buch war sozusagen ein Auftragswerk, da das Hotel ja im Herbst 2021 neu eröffnet werden sollte. Nun gibt es zwar kein Hotel, aber das Buch zum „Astoria“. Es steht auch „Biografie eines Hauses“ auf dem Titel – ich hoffe, es endet nicht wirklich mit dem Tod.

Und bei den Recherchen findet ein Krimiautor natürlich Krimis. Wie den jüdischen Eigentümern die Immobilie abgeluchst wurde, wie die DDR unredlich das Hotel übernahm, wie die Stasi in ihm operierte. Dazu gibt es auch zwei Filme, die namentlich im Hotel Astoria spielen: „Schwarzer Samt“ zeigt die östliche Variante, „Lautlose Waffen“ die des Westens. Einmal wird der Stasi-Held von Fred Delmare gespielt, der andere von Hardy Krüger. Großartig!

Schriftsteller schreiben Bücher, um davon Leben zu können. Sie verbinden mit dem Schreiben aber auch gern eine Botschaft, beziehungsweise wollen die Welt mit ihrem Schreiben im besten oder schlimmsten Falle etwas besser machen. Was lernt der Leser aus der in ihrem Buch dargestellten Geschichte nach zu begreifen?

Natürlich will jedes Buch, die Menschheit besser machen. Warum sollte man sonst schreiben? Das Hotel Astoria macht Geschichte konkret: Im 1. Weltkrieg erbaut, die goldenen Zwanziger mit Adele Sandrock, Klaus Mann und Erich Kästner. Die Katastrophen von 3. Reich und Bombenhagel. Sozialistische Aufbaueuphorie und Wende 1989. Und dann ein Sinnbild ostdeutscher Befindlichkeiten: Die Geschichte wird geschliffen. Das kann man am alten Centrum-Warenhaus schon sehen: Was soll die Umnutzung zum Bürogebäude? Ohne inneres Tageslicht, ohne Publikumsverkehr in Zeiten von Telefon und Homeoffice? Was soll der Stadtführer davor erzählen? Einst herrschte hier das pralle Leben … Wie soll ein Tourist diesen Verlust begreifen? Zumindest können Bücher von vergangener Pracht erzählen.

Henner Kotte, „Astoria“ Leipzig, Mittel- deutscher Verlag, Halle 2022, 24 Euro.

Veranstaltung:

Henner Kotte & Katrin Hart | Kabarettistische Lesung | „Hotel Astoria – Die Biografie eines Hauses“

27. März 2022 | Beginn 16.00 Uhr | Kabarett academixer | Kupfergasse 2 | 04109 Leipzig

CREDITS

Text: Die Fragen stellte Moritz Jähnig

Foto: © Mitteldeutscher Verlag, Sammlung Kotte, moritzpress

Veröffentlicht: 24.02.2022

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