34. euro-scene mit Festivalschwerpunt Naher Osten in Leipzig beendet
Gedanken von Moritz Jähnig
Das Theater- und Tanzfestival euro-scene ist 36 Jahre alt und das bedeutendste seiner Art im Osten Deutschlands. Gegründet im Wendegeist der 90er Jahre, setzte sich der Gründer dafür ein, endlich in Leipzig zu ermöglichen, was bis dahin nicht möglich war.
Bisher hat die euro-scene alle Wendungen überstanden und wird als originäres Leipziger Produkt geliebt, erwartet und von ihrem Publikum hochgehalten.
Ein Festival mit Geschichte und Bedeutung
Nach einigen schmerzhaften Häutungen leitet heute Festivaldirektor Christian Watty die Galawoche als internationales Off-Theaterfestival. In jeder Edition setzt er einen Schwerpunkt, der an aktuelle gesellschaftliche Debatten anschließt. In diesem Jahr lautete das Thema „Naher Osten“.
Die Weltlage machte jedoch deutlich, dass der Festivalgedanke auch Grenzen hat. So wurde exemplarisch sichtbar, wie der Krieg im Nahen Osten die kulturelle Entwicklung in Leipzig beeinflusst. Die euro-scene sah sich gezwungen, das Gastspiel des Freedom Theatre aus Jenin, Westjordanland kurzfristig abzusagen. Der Grund: Das Ensemble Freedom Theatre unterstützt in der Realität oder mutmaßlich die Boykottbewegung BDS, was jede kommunale Förderung ausschließt.
Ein reduziertes Programm – doch wichtige Aufführungen
Dadurch beschränkte sich der Festivalschwerpunkt Naher Osten auf drei Gastspiele: BASIS FOR BEING, eine choreografische Arbeit des iranischen Choreografen Sina Saberi, das Gastspiel SHIRAZ des ebenfalls aus dem iranischen Kulturkreis stammenden Choreografen Armin Hokmi und – hervorhebenswert – das Solo DANCE IS NOT FOR US des libanesischen Choreografen Omar Rajeh. Für einen Festivalschwerpunkt ist das wenig und keinesfalls repräsentativ.
Christian Watty, Festivaldirektor;
„Wir konnten 2024 ein breites Spektrum an unterschiedlichen künstlerischen Positionen und Handschriften auf der Bühne sehen und dabei viel starke Kunst erleben. Allen Künstler:innen ist es gelungen, in ihren Arbeiten sehr kreativ und differenziert unsere Gegenwart zu analysieren sowie durch zum Teil sehr biografisch geprägte Ansätze, Werke von großer Eindringlichkeit und Universalität zu schaffen. Ich freue mich über den großen Zuspruch, die Offenheit für vielfältige Erfahrungen und die Dialogbereitschaft beim Publikum.“
Rund um diesen Schwerpunkt lud die euro-scene natürlich weitere, teils ungewöhnliche Arbeiten nach Leipzig ein, die die Grenzen des Tanzes berühren. Auffällig viele davon entstanden aus biografischen Kontexten. Insgesamt zeigte die Festivalleitung 13 Produktionen, darunter eine Uraufführung, zwei Deutschlandpremieren, zwei Eigenproduktionen und zwei Koproduktionen. Insgesamt 4.800 Besucherinnen und Besucher sahen und fühlten auf 160 Veranstaltungen Tanz in Leipzig.
Eine turbulente Eröffnung und Zukunft
Am Eröffnungstag gab es eine Kundgebung gegen die Zensur der Kunst. Auf der Eröffnungsparty im Schauspielhaus, wie bereits 2022, führten Raphael Moussa Hillebrand und Jasmin Blümel-Hillebrand einen Wettbewerb durch, bei dem acht Tänzerinnen und Tänzer aus unterschiedlichen Richtungen alleine und gemeinsam performten. Es gab Preise und viel Beifall. Die gute Stimmung wurde dadurch gesteigert, dass das Publikum in den Pausen zum Mittanzen auf die Bühne gebeten wurde – und so begann die Party!
Der talentierte Moderator Hillebrand zitierte passend Nelson Mandela auf der UBUNTU CONNECTION, womit der Vorfall rund um die Absage des Freedom Theatre aufgearbeitet schien. Jedenfalls verlief das Festival ohne weitere Störungen. Es bleibt zu hoffen, dass die Beteiligten – der veranstaltende Verein, die Kuratoren, die eingeladenen Künstler und die Leipziger Stadtverwaltung – wissen, wie schnell das gesamte Projekt Schaden nehmen und die euro-scene zum Beispiel in einen Kommunikationsstrudel ähnlich der documenta geraten könnte.
Die nächste euro-scene ist vom 4. bis 9. November 2025 geplant.
Creditis
Text: Moritz Jähnig, freier Theaterkritiker, Leipzig
Foto: euro scene Leipzig
veröffentlicht 12.11.2024, 8:53