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Händel aus Leipzig am Theater Nordhausen

Händel aus Leipzig am Theater Nordhausen

“Julius Caesar” mit der HMT Leipzig und dem Loh-Orchester am Theater Nordhausen.

Das Theater Nordhausen ist die dritte und letzte Station der großen Musiktheater-Produktion der Leipziger Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ aus dem Jahr 2018. Nach sechs Vorstellungen im Großen Saal an der Grassistraße und zwei weiteren im Juni 2018 am Anhaltischen Theater Dessau folgen nochmals vier am Theater Nordhausen. Ein Kooperation der außergewöhnlichen Art: Gestaltet von einem Solisten-Ensemble mit Studierenden, zwei Chören, drei Orchestern, zwei Theatern und einer Ausbildungsstätte, deren Gesangs- und Musiktheater-Ausbildung international einen ausgezeichneten Ruf hat. 

von Roland H Dippel

 Georg Friedrich Händels „Giulio Cesare in Egitto“ klingt unkompliziert, ist es aber nicht. Gerade weil die für London 1724 entstandene Opera seria inzwischen zu den meistgespielten Barockwerken gehört und der Anspruch durch die inzwischen fast überall selbstverständliche ‚historisch informierte Aufführungspraxis‘ stieg, bleibt der Anspruch nicht nur hochschul- und theaterintern riesig. Im Publikum des nördlichsten Thüringer und südlichsten Theaters der Harz-Region gehören Barockfans auf Expertenniveau eher zu den Ausnahmen. Aber die Erwartung ist im Theater Nordhausen schon allein durch die Entdeckung von Stücken wie der Zarzuela „Luisa Fernanda“, Massenets durch ihre Delikatesse heikler „Cendrillon“ und der Uraufführung der Roadoper „Bonnie und Clyde“ von Christian Diemer (in Kooperation mit der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar) im gehobenen Bereich. Die studierenden Gäste müssen in kürzester Zeit die Sympathien des Nordhäuser Publikums gewinnen wie das ansässige Musiktheater-Ensemble. Keine leichte Aufgabe, aber möglicherweise ein erster Schritt auf der Karriereleiter: Nordhausens Intendant Daniel Klajner ist immer auf der Suche nach hochbegabten Anfängern für sein Ensemble und kooperiert auch mit dem Thüringer Opernstudio.

Herausforderung durch drei Aufführungsräume

Die Voraussetzungen für die Übernahme der Inszenierung waren angesichts der umjubelten Vorstellungen in der HMT äußerst gut. Danach bleib das Hochschulsinfonieorchester daheim, in Dessau spielte die Anhaltische Philharmonie und jetzt im ziemlich tief gelegenen Nordhäuser Graben eine Kammerbesetzung aus dem Loh-Orchester Sondershausen. Neu war auch, dass der Chor des Theaters Nordhausen (in sagenhaft kurzer Zeit einstudiert von Davide Lorenzato) in die Kostüme des nicht mitgekommenen Opernchors der HMT Leipzig schlüpfte, die Nordhäuser Technikcrew anstelle dessen Barbara Blaschkes praktikable Wände mit ihrer steinern abweisenden und der ‚intimen‘ vergoldeten Seite bewegten. Es ist erstaunlich, wie sich Matthias Oldags Inszenierung des römischen Ägypten-Feldzugs in den verschiedenen Bühnenflächen und Raumdimensionen verändert, sich darin die Leistungen der Solist*innen entwickeln und steigern: Auf dem hohen Podest des Großen Saals in der Grassistraße öffnend-abstrahierend, im Anhaltischen Theater Dessau als Kampf der brutalen wie liebessüchtigen Menschenbestien gegen die fast martialischen Raumdimensionen, am stimmigsten im kleinen hohen Hufeisen-Oval Nordhausens und dem tiefen Orchestergraben. Dieser Saal fördert einen die Stimmen tragenden, fast Mozart-haften Klang.

Barock-Kur für Berufsorchester

Nur das Hochschulsinfonieorchester hat in Leipzig den spieltechnisch-wissenschaftlichen Beistand im Studiengang für Alte Musik direkt nebenan. Doch für die beiden Berufsorchester ist die Zusammenarbeit mit den Studierenden, wie GMD Markus L. Frank in Dessau und Henning Ehlert, der sich in Nordhausen auf seine erste Barockoper nach dem von ihn während des von ihm noch im Studium geleiteten „Xerxes“ freute, einmütig sagen, fast eine Weiterbildung: Die Anhaltische Philharmonie und das Loh-Orchester erhielten eine Frischzellenkur in Sachen Transparenz, interaktiver musikalischer Kommunikation, solistischen Feinschliff und kurzum allem, was in der Konzentration auf das große romantische und moderne Repertoire in Sachen kultiviertes Musizieren gefährdet werden könnte.

Entwicklungssprung der Studierenden

Die jungen Sänger*innen gewinnen im Gegenzug Bühnenpraxis und Professionalität: Die im fürsorglichen Rahmen strikt eingehaltene Kombination der Doppelbesetzungen wird wie in der Nordhäuser Vorstellungsserie gemischt. Das macht vor allem die Rezitative spannender, fordert die Interpreten zu noch stärkerer Aufmerksamkeit und bringt noch mehr mehr Dramatik in den Abend. Die Solisten lernen, wie man nach einer längeren Spielpause die stellenweise umfangreichen Partien wieder „hervorholt“ und in nur wenigen Proben vertieft weiterentwickelt. „Man merkt jedes halbe Jahr noch deutlicher als bei ‚fertigen‘ Sängern, die schon Berufserfahrung haben.“ sagt Prof. Matthias Oldag vor der Premiere. Das spürt auch jeder den Produktionsverlauf mitverfolgende Zuschauer:

Lars Conrad als Caesar war in der Leipziger Premiere noch ein Politiker, der sich erst in der Auseinandersetzung mit dem Ägypter Ptolemäus (Viktorija Narvidaité) stählt. Jetzt zeigt er Caesar schon bei der ersten Ansprache als selbstbeherrschten und kalkulierenden Diplomaten. Diese Farbe im Spiel ist ebenso neu wie bei Yeeun Lee die Schärfung des Charakters von Cleopatra, für die sie jetzt Laszivität und strategische Zielstrebigkeit weitaus fließender und damit überraschender verbindet.

Ähnliche Entwicklungssprünge nach oben sieht man bei Eva Zalenga, die den emotionalen Wechselbädern des Sextus die größere szenische und den sängerischen Input steigernde Präsenz gibt als den beiden, natürlich immer noch äußerst wirkungsvollen Rachemorden auf dem Schlachtfeld. Nur von Susana Boccato kann man keine Steigerung erwarten, weil die Partie der Witwe Cornelia mit rabiater Entführung, Vergewaltigung und Wahnsinn in Oldags Inszenierung über das Fassbare expressiv hinausgreift. Insgesamt erlebt man eine gesteigerte und bei aller Schärfung seit der Premierenserie klar gebliebene Ensembleleistung, selbst wenn „Giulio Cesare“ im Theater Nordhausen durch die homogene Streichergruppe mehr Wärme hat als in Leipzig. Schon dort floss das (Theater-)Blut in Strömen, nicht nur aus dem abgeschlagenen Haupts des Feldherrn Pompeius. Dank der durch diese Kooperation ermöglichten Entwicklungsphase versteht man noch besser, warum. Starker Applaus eines Publikums, das sein Theater und dessen Spielplangestaltung zu schätzen weiß.

 Annotation:

Theater Nordhausen – Besuchte Vorstellung: Premiere am Fr 15.03., 19:30; Veröffentlicht: 18.03.2019 – weitere Vorstellungen:  Fr 29.03., 19:30 – Sa 30.03., 19:30

Was noch:

Nächste Musiktheater-Produktionen der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig (Informationen und Karten: www.hmt-leipzig.de)

Studio-Produktion 3: Christoph Willibald Gluck, Orfeo ed Euridice (Parma-Fassung für drei Soprane) – Musikalische Leitung: Ulrich Pakusch Regie: Michael Höppner mit Studierenden des  Masterstudienganges Operngesang – Vorstellungen: 05.04. (19.30 Uhr), 06./07.04. (15 Uhr), 08.04.2019 (19.30 Uhr)

 Carl Millöcker: Der Bettelstudent – Musikalische Leitung: Matthias Foremny, Inszenierung: Matthias Oldag mit Studierenden des Masterstudienganges Operngesang, dem Opernchor der Hochschule und dem Hochschulsinfonieorchester – Vorstellungen: 18./19./20./21./22./23.05.2019 (19 Uhr)  

Credits:

Fotos: (c) Theater Nordhausen

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