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Im Zeichen der Trikolore

Im Zeichen der Trikolore

Giordanos „Andrea Chénier“ hatte am Mittelsächsichen Theater Freiberg Premiere.

Der Brand von Notre-Dame hatte leider nur für kurze Zeit eine positive Wirkung. Ein scheinbar zerstrittenes Volk war wieder vereint. Giordanos „Andrea Chénier“ führt uns in eine historische Zeit dieser Kathedrale, in und um die Zeit der Französischen Revolution. Leidenschaft in Liebe und revolutionärem Aufbegehren sowie Verleumdung und scheinbarer Verrat dominieren die Handlung. Diese Oper spürt Grundwerten unserer menschlichen Gesellschaft mit all ihren Widersprüchen nach, ist jederzeit brandaktuell. Das Mittelsächsische Theater hat dieses Werk italienischer Opernkunst mit Wagnerschem Anklang, das 1896 seine Uraufführung an der Mailänder Scala hatte, jetzt in seinen Spielplan aufgenommen. Es ist erstmals in Freiberg/Döbeln erlebbar! Und dies mit viel Engagement aller Beteiligten. Chapéau.

                                                                                                          von Frieder Krause

 

Die Vorlage zum Geschehen liefert Luigi Illicas Drama im historischen Ambiente, versetzt konkret in die Zeit von Frühjahr 1789 bis zum Ende der Schreckensherrschaft Robespierres mit dessen Sturz und Hinrichtung 1794. Leser wie Opernpublikum können Anteil am Schicksal dreier Hauptfiguren nehmen. Eine junge Adlige (Maddalena) hat in den Wirren der Revolution Familie und Besitz verloren. In Paris untergetaucht ist sie auf der Suche nach Andrea Chénier, dem jungen Dichter, der einst im Schloss von Maddalenas Eltern den Adel provozierte. Er ist mittlerweile Idol und Volksheld der Revolution. Bedingt durch die Radikalisierung derselben, die seine Ansichten zu einer konstitutionellen Monarchie nicht teilt, wird er nun als Revolutionsverräter verfolgt.

Chénier hat natürlich seinen Gegenpart in Form von Gérard. Er fiel bereits in Maddalenas    Elternhaus als Diener aufbegehrend auf. Seine leidenschaftliche Liebe zu Maddalena musste er dank seiner Stellung vor der Revolution unterdrücken. Doch die Rahmenbedingungen haben sich verschoben. Er wird der charismatische Anführer der Radikalen und lässt Maddalena suchen. An der Seite von Chénier findet er sie wieder…

Viel Stoff also für einen großen Opernabend. Und dieser wird es zur Freiberger Premiere. Zum einen steht viel auf der musikalischen Habenseite, zum anderen hat die Regie keinen unwesentlichen Anteil. Opernspielleiterin Judica Semler tat gut daran, dem historischen Rahmen gerecht zu werden. Dabei hat sie in Bühnen- und Kostümbildnerin Annabel von Berlichingen eine kongeniale Partnerin. Gute Raumlösungen assoziieren Handlungsspielplätze für das Adelsschloss, ein Caféhaus, das Revolutionstribunal und schließlich das Schafott. Zugleich sind diese Räume intimerer Art zwecks Rendezvous oder konspirativem Treffen. Schnellere Übergänge zwischen denselben werden sich noch einspielen. Vorlage für die Grundfarben des Bühnenbildes ist die Trikolore, deren Farben Blau, Weiß und Rot für Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit stehen. Als Symbol für allgemeine Menschenrechte können sie vielfältig hinterfragt werden. Mit der Einblendung und gleichzeitiger Einspielung von Texten Chéniers, gesprochen von Johann-Christof Laubisch, stellt Semler die Fragen zum Umgang mit erreichten Werten der Revolution und deren schnellen Umschlagen in alte Schemata. Manches davon ist hierzulande nach 1989 auch spürbar geworden. Ihr gelingen zudem zusammen mit den Solisten, dem Chor und dem die Handlung begleitenden Mädchen treffliche Charakterisierungen und Symbolbilder. Zum Kabinettstück werden die Hofschranzen im Schloss des Grafen von Coigny. Von Berlichingen schuf für diese, das arme Bauernvolk, die Revolutionskämpfer und die Richter historisierende Kostüme.

Der vielschichtigen Musik Umberto Giordanos wird die Mittelsächsische Philharmonie unter Raoul Grüneis vollkommen gerecht. Wohltuend, dass Grüneis eine überbordende Klangfülle vermeidet, Chor und Solisten in guter Führung nicht zudeckt. Die stimmliche Leistungsfähigkeit des Freiberger Opernchores (unter der Leitung Peter Kubischs diesmal erweitert) mit seinen Chorsolisten wird auch diesmal bestätigt. Dazu gesellt sich große Spielfreude (siehe Hofschranzen).

In den drei Hauptrollen ist Erstklassiges zu erleben. Leonora Weiß-del Rio gestaltet mit ihrem wandelbaren, sicheren Sopran die Entwicklung von der am Hofe noch spielerischen Maddalena zur liebenden reifen Frau. Dies gelingt ihr auch gestalterisch. Andrii Chakov ist in Figur und Spiel ein glaubhaft junger Revolutionär, der zum Anführer wächst, Rächer sein will und schließlich nicht kann. Er verfügt über einen kraft- wie klangvollen Bariton. Frank Unger gibt die Titelfigur mit der erwarteten Strahlkraft seines Tenors, verleiht Chénier die Würde und den Feingeist des Dichters.

Im vierten Bild, dem Gefängnishof, lassen diese drei große Opernkunst aufleuchten, die bewgt, die unter die Haut geht. Um diese Wirkung wußte auch die Regisseurin in Verzicht auf eine plakative Hinrichtung.

Freibergs Ensemble ist in der Lage, auch allen anderen Figuren stimmlich wie darstellerisch charakterisierende Pfunde zu verleihen. Stellvertretend seien hier allen voran Kathrin Moschke als blinde Madelon, Sergio Raonic Lukovic als vermittelnder Roucher, Johannes Pietzonka als hinterlistiger Incredibile sowie Elias Han als Pierre und Schmidt zu nennen.

Der Premierenabend hatte noch seine Besonderheit. Leonora Weiß-del Rio stand vor ihrer Mutterschutzzeit letztmalig auf der Bühne. Ihre Leistung im achten Monat so zu erbringen, verlangt mehr als Respekt, dürfte vermutlich einmalig sein. Für Susann Hagel, die die Rolle der Maddalena übernimmt, liegt die Messlatte auch ohne Besonderheit hoch. – Die Premiere hätte ein ausverkauftes Haus verdient. Dies war leider nicht der Fall. Unbekanntes Werk, italienisch gesungen – für Freibergs Publikum nicht ganz so gewohnt? Die Qualität dürfte sich aber herumsprechen, vielleicht und hoffentlich auch im nahen Dresden.

 

Annotation:

Umberto Giordano „Andrea Chénier“, Musikalisches Drama mit geschichtlichem Hintergrund in vier Bildern. Libretto von Luigi Illica. Musikalische Leitung: Raoul Grüneis, Inszenierung: Judica Semler, Bühne und Kostüme:  Annabel von Berlichingen, Choreinstudierung: Peter Kubisch, Dramaturgie und Übertitel: Christoph Nieder. Es sangen: Andrea Chénier – Frank Unger, Carlo Gérard – Andrii Chakov, Maddalena di Coigny – Leonora Weiß-del Rio (alternierend Susann Hagel), Bersi – Dimitra Kalaitzi-Tilikidou, Contessa di Coigny – Alice Hoffmann, Madelon – Kathrin Moschke, Roucher – Sergio – Raonic Lukovic, Pierre Fléville – Elias Han, ein „Incredibile“ –  Johannes Pietzonka, Schmidt – Elias Han.

Mittelsächsische Philharmonie

Erweiterter Opernchor des Mittelsächsischen Theaters

Komparserie

 

Was noch:

Besuchte Vorstellung: Premiere am 27.04.2019 in Freiberg, veröffentlicht am 30.04.2019.                                                                                                                                                                        Aufführungen bis zum Ende der Spielzeit:

  • 04.05.2019, 19.30 Uhr, Premiere Döbeln
  • 12.05.2019, 14.30 Uhr, Döbeln
  • 21.05.2019, 19.30, Freiberg

 

Credits:

Fotos: © Mittelsächsisches Theater/Jörg Metzner

 

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