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Leipzig: „Drei Frauen aus Deutschland“

Leipzig: „Drei Frauen aus Deutschland“

Eine literarische Collage von und mit Barbara Auer, Gesine Cukrowski und Ann-Kathrin Kramer

Am Tag der Deutschen Einheit setzte das Schauspielhaus ein außergewöhnliches Format aufs Programm. Ein Gastspiel mit dem nicht so passenden Titel »Drei Frauen aus Deutschland« brachte Lebensprotokolle und Textpassage zu gehör. Den Abend erlebt hat

Petra Kießling

Vorgetragen wurde aus Werken von Bettina von Arnim (1785-1859), Else Lasker-Schüler (1869-1945) und Erika Mann (1905-1969). Es war wie eine dokumentarische Collage, die drei namhaften Schauspielerinnen Barbara Auer, Gesine Cukrowski und Ann-Kathrin Kramer drei Lebensbilder der deutschsprachigen Literatur auf der Bühne mit Leben erfüllten. Die große Bühne in Dunkelheit getaucht, das Spiel eine szenische Lesung. Keine Musik, kein überflüssiger Effekt störte den Ablauf des Abends. Einzige optische Orientierungshilfe war, die durch Licht projizierte Hervorhebung des jeweiligen Porträts der Literatin. Dadurch konnte das Publikum sich vollends auf die Inhalte konzentrieren. Diese ruhige, unaufgeregte Form des Umgangs mit Literatur und Geschichte sollte Schule machen. Denn es steckt der steinige Weg der Auseinandersetzung und Recherche dahinter, der sich nicht allein mit oberflächlichen Wissen einschlägiger Web-Lexika begnügt.

Was bewegte den Regisseur Martin Mühleis, diese drei Frauen aus dem deutschsprachigen Literaturkanon auszuwählen? Was verbindet sie, außer dass sie Frauen waren und hoffentlich nicht in Vergessenheit geraten sind? Es ist genau das. Er möchte die deutschsprachige Literatur vollumfänglich populär machen und gleichermaßen einen gerechteren Blick auf die schöpferische Kraft von Menschen lenken, ungeachtet ihres Geschlechts oder ihrer sozialen Herkunft. Deutlich wird, dass sie alle drei in ihrer Zeit für Gerechtigkeit, Freiheit, Frieden, Demokratie und vor allem für das selbstständige Denken und Handeln des Menschen standen und bis heute stehen. Dass sie Frauen waren, spielt an diesem Abend nur in der Spiegelung ihrer unmittelbaren Umgebung, ihrer Zeit oder in der sie umgebenden Öffentlichkeit eine Rolle.

Bettina von Arnim, geborene Brentano wird von Ann-Kathrin Kramer in die Gegenwart geholt. Mit ihrem sensiblem, mitunter leisem Vortrag erreicht sie es, die Enge des Lebens der Brentano und späteren Bettina von Arnim zu beschreiben. Jene Enge, die sie bekämpfte und mit ständigen Zweifeln an der Struktur der Gesellschaft, die sie umgab, die großen Fragen der Menschheit formulierte. Sie rüttelte an der Feste ´Goethe´ mit ihrem Buch »Goethes Briefwechsel mit einem Kinde.« (1835). Mit dem Titel »Dies Buch gehört dem König.« von 1843 gelingt ihr eine Scharade, um die damalige Zensur zu umgehen. Im Eigentlichen ist es ein offener Brief an den Herrscher.

Barbara Auer deklamierte Lyrik von Else Lasker-Schüler. Kein einfaches Unterfangen. War sie doch die bedeutendste Lyrikerin des Expressionismus oder noch besser, der bedeutendste Lyriker des Expressionismus im 20. Jahrhundert. Die eingesprochenen gut gewählten, gegensätzlichen Rezensionen aus ihrer Zeit belegen das. Der Abend hätte noch mehr Lyrik von dieser noch heute modernen Form der Dichtkunst vertragen. Else Lasker-Schülers Schicksal ist eng mit der Grausamkeit der Wirtschaftskrisen, des aufkommenden Faschismus und des Aufbegehrens und Mutes in der Kunst der Weimarer Republik verbunden. Gottfried Benn, einst inspiriert durch ihre Dichtung, schaffte es erst nach ihrem Tod sie in einer Rede von 1952 als die »größte Dichterin, die Deutschland je hatte.« zu ehren.

Erika Mann war bekannt für ihre schnippische Art im Umgang mit der Gegenwart in der Weimarer Republik und konnte als Schauspielerin, Kabarettistin, Schriftstellerin, Journalistin und Lektorin die Münchner oder Berliner Gesellschaft durch- und aufrütteln. Sie wurde in eine geistreiche Welt der Familie Mann geboren. Diese starke Umarmung des Denkens hat sie geprägt. Sie erfährt im Vortrag eine überraschende Gegenwärtigkeit. Gesine Cugrowski gelang es, die mutige und eigenständige Persönlichkeit aus dem großen Schatten ihrer Familie zu lösen. Besonders die Darbietung einer öffentlichen Rede im Central Park in New York überzeugte und schlug eine Brücke in das Hier und Jetzt. In dieser Rede forderte sie die Amerikanerinnen und Amerikaner unter anderem auf, Hitlerdeutschland mit allen Mitteln zu boykottieren und nicht einen Cent für deutsche Waren auszugeben.

Im ständigen Wechsel der drei hervorragenden Sprecherinnen zwischen dem Kontext und dem Rezitativ der jeweiligen Autorin, umrahmen dokumentarische Originaltexte aus der Zeit die Originalzitate. Dadurch entsteht eine sinnliche sowie sachliche Collage, die durch das Wechselspiel der drei unterschiedlichen Klangfarben eine Lebendigkeit erfuhr. Das Publikum im Saal dankte mit langanhaltendem, euphorischem Applaus.

Annotation

„Drei Frauen aus Deutschland“. Eine literarische Collage von und mit Barbara Auer, Gesine Cukrowski und Ann-Kathrin Kramer. Gastspiel am Schauspielhaus Leipzig, Große Bühne

Gastspielbesuch am 03.10.2022, veröffentlicht am 6.10.2022

Credits

Text: Petra Kießling, Leipzig, freie Journalistin und Theaterkritikerin

Fotos (3): © Marc Lazzarini

Foto oben: © Rolf Arnold

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