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Leipzig: Liebe, Hass und Harmlosigkeit

Leipzig: Liebe, Hass und Harmlosigkeit

35. euro-scene folgt dem Leitgedanken „LOVE BODY POLITICS“

Eröffnung mit „Healing Hate“ – eine auf den gastgebenden Ort zugeschnittene Konzertperformance

35 Jahre euro-scene – das ist längst kein kleines Jubiläum mehr. Vielleicht auch deshalb fand das diesjährige Opening im Opernhaus statt, dem Kulturtempel Nummer eins. Hatte im Vorjahr ein Ensemble aus Berlin – Ubuntu Connection mit Raphael Moussa Hillebrand und Jasmin Blümel-Hillebrand, unvergessen! – das Publikum im Schauspielhaus in einen wahren Tanzrausch versetzt, so sollte diesmal ein internationales Ensemble aus Wien, Basel und Berlin das Opernhaus zum Singen bringen. Doch das hat nicht wirklich geklappt.

Von Moritz Jähnig

Bildmitte: Elia Rediger, Initiator des Caravan of LUV, ist in Leipzig kein Unbekannter. Er ist Frontmann der Leipziger Kultband Brigade Futur 3 und war bei der euro-scene 2022 als Gründungsmitglied der Group 50:50 (THE GHOSTS ARE RETURNING) zu erleben Foto: Ines Bacher

Ein Hauch von 60er-Jahre-Pathos

Auf der Bühne war alles zum Feiern angerichtet: links eine lange Tafel mit Weingläsern, edlem Tafelaufsatz und einem großen Topf mit Grießbrei, der später verschmiert wird. Rechts hatte auf grünem Rasen eine Band Platz genommen, die dem Publikum mit wunderbar elektropoppigen Klängen einheizte.

Hier zelebriert die bunt gewandete Künstlergruppe ein Hippie-Happening. Singend, trommelnd, manchmal maskiert zogen sie mit der Gun of Love durch die Zuschauerreihen. Saallicht an, Saallicht aus. „Gebt mir ein Buh!“ Mit diesem Woodstock 3.0 wollte sie in einem „psychomagischen Akt“ den Hass in Leipzig durch Liebe überwinden, indem jeder sich seinen Hassobjekten stellt, alles richtig durchlebt und dann, so die Theorie, befreit ist: der Hass raus, die Liebe da.

Das Publikum war gebeten, persönliche Hassobjekte oder -situationen auf Zettel zu schreiben, die anschließend auf der Bühne ausgewertet werden sollten. Die Liste der Hassobjekte: Rosenkohl, Till Lindemann … Es bleibt politisch harmlos.

Caravan of Luv vor der Leipziger Oper

Rezept gegen Hass

Das Ensemble, das sich als nicht sesshafte Gauklertruppe gerierte, hatte seinen Caravan auf dem Augustusplatz geparkt. Von dort aus wollten sie– nach der Leipziger Schnellheilung – weiterziehen zu anderen Krisenherden der Welt.

„Healing Hate“von Caravan of Luv /Elia Redinger & int int irrit

Wenn gesungen und fröhlich getanzt wurde, breitete sich unterstützt von den gekonnten Videoinstallationen tatsächlich gute Stimmung aus. Da machte der aus Uganda stammende Tänzer Robert Ssempijja im Rahmen dieser Eröffnung auf sein euro-scene-Gastspiel in der Residenz in Spinnerei aufmerksam. Hervorhebenswert der Auftritt des Leipziger Chores chorbeau. Diese deutsch-französische Singgemeinschaft wurzelt auch in Basel, in der Schweiz.

„Gib mir ein Buh!“

Doch alle Versuche, mit spontanen Statements zu überzeugen, misslangen. Einschließlich des Auftritts von Leipzigs Beigeordneter für Soziales, Gesundheit und Vielfalt, Dr. Martina Münch, die in Vertretung des Oberbürgermeisters Mut bewies. Sie verriet ihren persönlichen Mutmacher in konfrontativen Situationen: den Song „Du, lass dich nicht verhärten“ (1968) von Wolf Biermann – den der Schweizer Sänger Tobias Jundt, alias „Bonaparte“, zufällig im Repertoire hatte, frisch gecovert für sein jüngstes Album.

Zwischen Peinlichkeit und Solidarität

Diese Serie gekünstelter Zufälle in 60er-Jahre-Dekoration war, gelinde gesagt, überraschend. Der Verlauf des Abends schwankte zwischen Albernheit und Peinlichkeit – mit wenigen Momenten, die wirklich mitreißend oder intelligent waren, meist aber erwartbar blieben.

Vorzeitig gegangen sind dennoch nur wenige. Es war nicht Begeisterung, die durchhalten ließ, sondern Solidarität: mit dem Anliegen, mit dem 35-jährigen Festival, mit der Heldenstadt und mit dem Respekt vor jeder künstlerischen Anstrengung, wie verunglückt sie auch sein mag.

Annotation

“Healing Hate”. Caravan of LUV / Elia Rediger & int int irrit / Wiener Festwochen (Wien / Basel / Berlin).

Idee + Regie Elia Rediger Chor chorbeau Musikalische Leitung Lucas Reis Musik + Performance Caravan of LUV mit Romy Jakovcic, Prince pauT de monaco, Maria Petrova, Georg Vogler, Lan Sticker, Bernadette Freithofnig, Valentin Kaiser, Sebastian Scholz, Scharmien Zandi, Julia Makoschitz, Aaron Maria Steiner, Niklas Esterbauer, Mareike Kremsner, Max Wintersperger Tanz Robert Ssempijja Konzept Elia Rediger & INT INT IRRIT Artist Director Elia Rediger Bühne Felicia Riegel Licht Bernd Gengelbach Kostüm Janine Werthmann, Suleymane Diallo Video Moritz von Dungern Produktion + Touring Benjamin Buchwald, Produktion int int irrit Koproduktion Wiener Festwochen | Freie Republik Wien, euro-scene Leipzig, Audiodeskription Beatrix Hermens, Matthias Huber, Marisa Wendt – gefördert durch Aktion Mensch Gastspielförderung Österreichisches Kulturforum Berlin

Kreation
Wiener Festwochen | Freie Republik Wien, 22. Mai 2025

Das Festivalprogramm

https://euro-scene.de/

Credits

besuchte Vorstellung 4.11.2025; veröffentlicht 5.11.2025; aktualisiert 5.11., 15:00 Uhr

Text: Moritz Jähnig, freier Theaterkritiker, Leipzig

Fotos: © Ines Bacher / Iona Dutz

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