Beglückende Momente in einem auf Rache fixierten „Rigoletto“
Dankenswerterweise zauberte die Oper Leipzig aus ihrem Schatzkämmerlein die sehenswerte „Rigoletto“-Inszenierung von Anthony Pilavachi wieder hervor. Sie stammt von 2012 und atmet internationales Flair. Die Verdi-Gemeinde dankt Pilavachi die Rekonstruktion des „Gustavo III“. Für Leipzig arbeitet er jetzt an der „Norma“. Bellinis großes Werk ist am Augustusplatz für den 1.Dezember angekündigt.
Von Moritz Jähnig
Die eigentlichen Höhepunkte des erlebten Opernabends waren nicht die wie erwartbar grandios abgelieferten Bravourstücke, sondern die vielschichtig gestaltete, liebevolle Vater-Tochter-Beziehung, auf die sich die ursprüngliche Regie weniger konzentriert. Ungewöhnlich eindringlich und menschlich warm formten die kurzfristig eingesprungene Katerina von Bennigsen (Gilda) und Daniel de Vincente (Rigoletto) ihre Duette zu klanglicher Blüte.
Der auch in den Ausbrüchen größter Leidenschaft stets wohlklingende Bariton des US-Amerikaners de Vicente gibt den intimen Momenten der Figur mit seiner Tochter etwas Beruhigendes, Beschützendes. Er strahlt natürliche Väterlichkeit aus, anders als im Programmheft nachlesbar. Das Regiekonzept von Anthony Pilavachi und wie es sich auch in Bühnenbild und Kostümen von Tatjana Ivschina ausdrückt, spielt den Gedanken der Vendetta als eine Konstante jeder Macho-Gesellschaft, nicht nur der Renaissance, sondern generell, durch.
Der Narr von de Vincente ist aber dann doch mehr ein von den eigenen Kämpfen überforderter Mann, einer, der an und für sich zu gut für diese Welt ist. Mit wenigen Gesten baut der Sänger szenische Spannung auf. Wenn er im dritten Akt nur den Mantel ablegt, um den Sack mit dem vermeintlich toten Herzog zu ergreifen, zieht er alle Augen auf sich.
Gilda, Katerina von Bennigsen, an der Semperoper Dresden eine bejubelte Musetta und Paganena, gestaltet eine selbstbewusste Frau von überzeugender Entschlusskraft. Kaum zu glauben, dass sie in diesem Kellerloch gehorsam auf den Vater wartet. Stimmlich ist sie in dieser Partie eine Freude, glasklare Koloraturen, die Spitzentöne werden Brillanz bekommen. Den Herzog getaltet Piotr Buszewski als einen schönen, kalten, grausamen Typ, für den sich zu opfern für ein Mädchen vom Format dieser Leipziger Gilda nicht in Frage käme. Der aus Polen gebürtige Tenor trifft diese herausfordernden Lagen spielend, ein Sänger hoch in Form und eine Bereicherung für das Haus am Augustusplatz.
Die durch internationale Gastspiele sowie Engagements an Orchesterpulten im In- und Ausland hervorgetretene Dirigentin, Pianistin und Komponistin Anna Skryleva, leitet seit fünf Jahren als Generalmusikdirektorin die Magdeburgische Philharmonie. 2019 zeichnete die Deutsche Orchester Stiftung den Klangkörper und die Dirigentin mit dem Sonderpreis „Innovatives Orchester“ aus. Im Mai führte sie Beethovens „Fidelio“ zur in der Elbestadt mit stürmischem Beifall aufgenommenen Premiere. Im Mai 2025 wird Skryleva an der Oper Leipzig die Neuinszenierung von „Pique Dame“ von Peter I. Tschaikowski musikalisch leiten.
Für den Wiederaufnahmezyklus von „Rigoletto“ trat sie mit nur wenig Erfahrung im Verdi-Repertoire vor das Gewandhausorchester. In dieser für die Musiker 30. Vorstellung kein Fremdeln zu spüren. Dramatik bis zum letzten Ton.
Eine gute Verdi-Leistung des Herrenchores, eine wunderbar bigotte Giovanna von Annika Westlund, der grausam verletzte Monterone von Peter Dolinšek, der Alltagsbösewicht Sparafucile von Sejong Chang und alle anderen hervorragenden Solisten des Ensembles, Karin Lovelius (Maddalena), Christian Moellenhoff (Graf Cepreano), Maria-Teresa Martini (Gräfin Cepreano), Jonathan Michie (Marullo), Sven Hjörleifsson (Borsa), Katharina von Hassel (Page), Frank Wernstedt (Gerichtsdiener) sind bemerkenswert.
Für Opernfreunde gibt es keine plausible Entschuldigung, sich nicht noch eine der in dieser Spielzeit angekündigten „Rigoletto“-Aufführungen anzusehen und anzuhören.
Annotation
“Rigoletto”. Oper in drei Akten, Text von Francesco Maria Piave, nach dem Versdrama »Le roi s’amuse« von Victor Hugo. Oper Leipzig. Musikalische Leitung: Anna Skryleva, Inszenierung: Anthony Pilavachi, Bühne, Kostüme: Tatjana Ivschina, Licht: Michael Röger, Dramaturgie: Christian Geltinger, Choreinstudierung: Thomas Eitler-de Lint.
Besetzung
Gilda: Athanasia Zöhrer / Bianca Tognocchi, Giovanna: Annika Westlund / Nora Steuerwald, Gräfin Ceprano: Maria-Teresa Martini, Maddalena: Karin Lovelius / Kathrin Göring, Page: Katharina von Hassel, Herzog: Piotr Buszewski, Rigoletto: Daniel de Vicente / Ólafur Sigurdarson, Graf von Monterone: Peter Dolinšek, Graf Ceprano: Christian Moellenhoff, Marullo: Jonathan Michie / Frieder Flesch / Marian Müller, Borsa: Sven Hjörleifsson, Sparafucile: Sejong Chang / Randall Jakobsh, Gerichtsdiener: Frank Wernstedt. Herren des Opernchores, Komparserie, Gewandhausorchester Leipzig
Premiere 13.10.2012; Wiederaufnahme 15.3.2024; besuchte Vorstellung 10.5.2024; veröffentlicht 13.5.2024; Aktualisierung 14.3.2024, 18.00 Uhr
Credits
Text: Moritz Jähnig, freier Theaterkritiker, Leipzig, Herausgeber
Foto: © Tom Schulze (2012), Archiv