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Leipzig: „Otello“ im Beinkleid
HP1 Oper Leipzig 2022

Leipzig: „Otello“ im Beinkleid

Verdis Alterswerk – ein musikalischer Triumph in angenehm neutraler Verpackung

Die Stimmung am Premierenabend in der Leipziger Oper 17. Dezember 2022 erinnerte mit einiger Phantasie an den Abend der Uraufführung der Oper am 5. Februar 1887 an der Mailänder Scala. Großes Gedränge im Foyer. Hautevolee trägt Festtagskleid. Medienvertreter tragen wichtigen Mienen. Das Haus am Augustusplatz hält tapfer mit und strahlt gülden über die noch immer provisorische Eingangstreppe hinweg dem Weihnachtsmarktgeümmel entgegen. Glamour und Glimmern. Premierenkarten knapp. Organisatorische Aufregung professionell. Wiedersehensfreunde der Verdi-Fans groß.

Von Moritz Jähnig

Iulia Maria Dan und Xavier Moreno

Unbegreiflich, dass „Otello“ in Leipzig ein halbes Menschenleben nicht mehr aufgeführt wurde. Nach seinem „Aida“-Erfolg hatte der greise Giuseppe Verdi keine weitere Oper mehr schreiben wollen. Dann kam nach in langjähriger und geheim gehaltener Arbeit sein Meisterwerk „Otello“ in Mailand heraus und wurde dort wie auch am vergangenen Sonnabend in Leipzig zum Triumph.

Musikalisch ungewöhnlich dicht und packend

Der Grund für diesen Erfolg liegt zu allererst auf der musikalischen Seite. Christoph Gedschold dirigiert das Leipziger Gewandhausorchester. Der Musikdirektor schien sich fast körperlich in verdische Klangwellen zu stürzen. Mitreißend kraftvoll macht er in den Schlachtszenen musikalisch das Gesamtgeschehen plastisch. Sensibel räumt er den Gesangsstimmen das Prä ein und scheut mit seinem Orchester das Bad im zu Herzen gehenden Schmelz und den unverschämt satten italienischen Klang nicht.  

Und diese Gesangsstimmen bewegen sich am Premierenabend ausgeglichen auf einem sehr hohen Niveau. Drei Namen sind zu nennen. Der international erprobte Verdi-Tenor Xavier Moreno gibt als Otello einen eindrucksvollen Einstand an der Oper Leipzig. Ohne Ermüdung behält seine Stimme bis zum dramatischen Schluss die Fähigkeit zu subtiler Gestaltung der verwirrten Verzweiflung eines in die Raserei getriebenen Kriegsmannes. Triumph und Trauer trifft er mühelos. Die kalte Pose des politisch handelnden Mannes wie auch die tragische Komik in der farcenhaften Trinkszene, in der er coram publico die Hosen runtergelassen bekommt, gelingen dem spielgewandten Sängerdarsteller ohne Peinlichkeit.

Mit Iulia Maria Dan, in Rumänien gebürtig, in München, Hamburg und international unterwegs, erlebt das Publikum eine neue Stimme auf der Leipziger Bühne. Ihre Desdemona ist ein junges Mädchen im Prinzessinnenkleid mit Petticoat. Am Anfang noch tüchtig zickig repräsentiert sie nie die Gattin eines hohen Würdenträgers. Ihre Stimme zeichnet ungeheurer leuchtend Jugendlichkeit bei einem vollem belcanto in der Höhe aus. Wie anrührend und kultiviert sie die unschuldig des Treuebruchs verdächtigte und von ihrem Ehemann ermordete singt und verkörpert, wurde mit Applaus gefeiert.

Mit dem Weißrussen Vladislav Sulimsky, baritonal stark und volltönend schön singend, steht ein auf den ersten Blick wenig gefährlich wirkender Jago im Raum, der allerdings schnell sein wahres Gesicht zeigt, wenn er skrupellos Gewalt gegen die eigene Frau ausübt. Ein fieser Prototyp, der der immer weiß, welche Knöpfe zu drücken sind, wenn man zum Ziel kommen will. Seine Frau Emilia, die Vertraute Desdemonas, gestaltet Kammersängerin Ulrike Schneider als eine reife, dennoch total zerrissene Frau. Ulrike Schneiders stellt sich vom Opernensemble im nahen Halle kommend am Augustusplatz als neues Ensemblemitglied vor. Chor und Extrachor (Thomas Eitler-de Lint), runden mit großen Leistungen das durchweg positive musikalische Gesamtbild künstlerisch ab.

Feministisches Konzept

Der „Othello“ in der Shakespeare‘schen Vorlage und Boitos Bühnenstück ist ein Mohr, der als kommandierender General die Insel Zypern in einer siegreichen Seeschlacht zurück in das Imperium der Adelsrepublik Venedig gebracht hat. Solche Figurenaufstellungen müssen heute neu durchdacht durchdacht und befragt werden, bevor man sie auf die Bühne bringt. Die Diskussion um das koloniale Erbe und damit verbundener Diskriminierung, den Umgang mit Ausländern, ein feministischer Blick auf die Geschichte sind die Drehpunkte, die dramaturgisch gesucht werden. Das Programmheft „Otello“ dokumentiert die Leipzig dabei geleistete Arbeit sehr gut und nachvollziehbar.

Im nahen Anhaltischen Theater Dessau wurde der Mohr Otello von dem schwarzen Sänger Ray M. Wade, Jr. gesungen. Das war eine Glücksfallbesetzung und künstlerisch beachtenswert. In Leipzig ist Otello ein weißer Mann, den Jago als Ausländer denunziert.

Damit sind die mit der Figur verbundenen soziale Problematik und ihr Gegenwartsbezug jedem ausreichend klar. Das Interesse der Regie liegt auf der Frau Desdemona. Otello hatte es schwer, sich hochzuarbeiten und dahin zu kommen, wo er gesellschaftlich steht. Desdemona ist „von Familie“. Die Ehe mit und die aufrichtige Liebe zu ihr haben Otellos den Aufstieg begünstigt.

Jetzt kommt Jago, ein sozial gekränkter Mann mit hoch manipulativen Fähigkeiten und treibt mit einer rachsüchtigen Intrige die beiden Lieben in den Tod. So bei Shakespeare – nicht in der Inszenierung von Monique Wagemakers in Leipzig. In einer Art mystischer Wiederauferstehung erhebt sich Desdemona nach ihrer Ermordung und verlässt, ohne Otello noch eines Blickes zu würdigen, die Szene. Vorbereitet hatten diese unerklärlich bleibde Apotheose Bilder von kultischer Heiligenverehrung im 3. Akt.

Andererseits wird Otello als Mann dargestellt, der nicht einmal fähig ist, den Freitod zu suchen. Zur Erinnerung: Monique Wagenmakers hatte in Chemnitz ihre „Walküren“-Inszenierung quasi entwaffnet gehabt. Ihr Leipziger „Otello“ trägt nun gleich zwei Dolche im Gewand, stirb aber nicht durch eigene Hand, sondern vermutlich an Herzinfarkt – Tod an gebrochenem Herzen aufgrund eigenen Versagens. Eine Zusammenhänge herstellende Antwort auf das Thema Femizide wird damit nicht gegeben. Es ist des Gutgemeinten zu viel, wie auch die Videoprojektionen keine neuen Erkenntnisse bringen, sondern überflüssige Illustration sind.

Neutrales Bühnenbild

Kostüme wie Kulisse dienen der Inszenierung und sind doch jede für sich genommen und gelungen. Andrea Schmidt-Futterer hat bei der Kleidung auf Individualisierung verzichtet. Alle Männer durchweg in Hosenröcken auftreten zu lassen, ist dabei mehr nur ein netter Einfall. Der dresscode erinnert an mittelalterliche japanische Krieger.

Der Bühnenraum von Dirk Becker ist mehr als zurückgenommen und tritt nicht in Erscheinung. Die strukturierte Tücherwelt, die Arbeit mit Symbolen und Figurenblöcken, die so gar nichts von dem Tableau der klischeehaften italienischen Oper haben, verstärken sensationell die suggestive Macht dieser Inszenierung.

Annotation

„Otello”, Oper von Giuseppe Verdi, Libretto von Arrigo Boito nach dem gleichnamigen Schauspiel Othello von William Shakespeare. Oper Leipzig. Musikalische Leitung: Christoph Gedschold , Inszenierung: Monique Wagemakers,  Bühne: Dirk Becker, Kostüme: Andrea Schmidt-Futterer, Video: Philipp Ludwig Stangl, Dramaturgie: Kara McKechnie, Lichtdesign: Cor van den Brink, Choreinstudierung: Thomas Eitler-de Lint,  Chor, Kinderchor, Zusatzchor und Komparserie der Oper Leipzig,  Gewandhausorchester

Besetzung: Otello: Xavier Moreno, Jago: Vladislav Sulimsky, Cassio: Sven Hjörleifsson, Rodrigo: Alvaro Zambrano, Lodovico: Randall Jakobsh, Montano: Joan Vincent Hoppe, Desdemona: Iulia Maria Dan, Emilia: Ulrike Schneider, Ein Herold: Vincent Turregano

Besuchte Vorstellung Premiere 17.12.2022, veröffentlicht 19.12.2022

Weitere Vorstellungen: 21.12.2022, 04./08./13.01.2023

Credits

Text: Moritz Jähnig, freier Theaterkritiker und Herausgeber, Leipzig

Fotos: © Ida Zenna; © Kirsten Nijhof

Kontakt

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