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Im Frühling in Leipzig: Mythischer Realismus

Im Frühling in Leipzig: Mythischer Realismus

Im April und Mai stehen zwei „Ring“-Zyklen auf dem Spielplan der Oper.

Bei den überregionalen Richard-Wagner-Verbänden und beim Stammpublikum kommt der Leipziger „Ring“, geschmiedet von 2013 bis 2016, gut an. Er steht im Zentrum der Richard-Wagner-Festtage der Oper Leipzig bis zum großen Paukenschlag mit allen Bühnenwerken Richard Wagners, den Intendant und Generalmusikdirektor Prof. Ulf Schirmer für das Ende seiner Amtszeit als Finale vom 21. Juni bis zum 14. Juli 2022 vorbereitet.

von Roland H Dippel

Mit dem „mythischen Realismus“ von Rosamund Gilmore bekennt sich die Oper Leipzig zu einem langfristig gültigen Repertoire- und Ensemble-Theater. Das kommt einem programmatischen Bekenntnis gleich gegen Tendenzen an den ganz großen Opernhäusern. Auf deren Spielplänen verkürzt sich die Verweildauer von Inszenierungen mit Aktualitätsbezug, weil diese angesichts einer beschleunigten Realität umso schneller an thematischer Relevanz verlieren. Trotzdem ist es kaum wahrscheinlich, dass es der Leipziger „Ring“ auf 600 Vorstellungen bringen wird wie vor kurzem die „Tosca“-Inszenierung von Margherita Wallmann aus dem Jahr 1958 an der Wiener Staatsoper.

Götterdämmerung

Voll im Trend steht die „Ring“-Inszenierung von Rosamund Gilmore durch die Fokussierung eines spezifisch weiblichen Blicks, wie ihn sich auch Katharina Wagner auf dem Grünen Hügel wünscht – selbst wenn sich nicht wie im nahen Chemnitz zum Stadtjubiläum 850 Jahre gleich vier geschärfte Regisseurinnen-Augenpaare auf Wagners vierteiliges Bühnenfestspiel richteten. Hier wie dort gelangten die szenischen Teams zu dem ähnlichen Resultat, dass der genderspezifische Blick derzeit kaum noch weitere bahnbrechende neue Erkenntnisse über Wagners Studie eines Zerfalls von Machtstrukturen bewirken könnte. Gewiss wird in Chemnitz folgend Eva Rieger Skepsis an der Erkenntnis verbreitet, dass Wagner im „Ring“ das Erlösungswerk aus der von Männern ins Rollen gebrachten Politik- und Wirtschaftsmisere zur Frauensache erklärt. Da verhält sich die Oper Leipzig lieber objektiv und fordert ihr Publikum zur Meinungsbildung auf. Der gewollte Abstand zu der an den Deutungen von George Bernard Shaw und Thomas Mann geschärften Vorgänger-Inszenierung von Joachim Herz, die auf alle „Ring“-Interpretationen in Ost und West lange eine beträchtliche Ausstrahlungskraft entwickelte, könnte kaum größer sein.

Siegfried

Rosamund Gilmore gehört nach Tankred Dorst bei den Bayreuther Festspielen und neben Andreas Kriegenburg an der Bayerischen Staatsoper München zu den Regisseur*innen, die Wagners Weltuntergang für Licht- und Schwarzalben mit einem Ensemble von stummen Figuren begleiten lässt. Diese ermöglichen beobachtende, kommentierende und erweiterte Betrachtungsebenen. Vor allem mit dieser Idee kickt Gilmore den Leipziger „Ring“ auf eine aktualitätsbezogene Diskursebene, selbst wenn es bei ihr nur vage Analogien zur Gegenwart gibt. Mit ihrem langjährigen Bühnenbildner Carl Friedrich Oberle und den Kostümen von Nicola Reichert enthob sie das sagenhafte Geschehen in kalkulierte Zeitlosigkeit: Zwölf Tänzerinnen und Tänzer werden zu „mythischen Elementen“, von denen Ziv Frenkel als Brünnhildes Ross Grane in den beiden letzten Teilen dem Spielgeschehen eine besondere poetische Dimension gibt.

Die Walküre

Prof. Ulf Schirmer feilt mit dem Gewandhausorchester seit den Premieren an dem, was er mit einem von Wagner übernommenen Schlagwort als „naive Präzision“ akzentuiert: Eine mehr lyrisch rundende als bohrend schärfende Deutung, die mit gelassen entwickelter Stoßkraft auf großem Atem in die monumentalen Dimensionen der Tetralogie vordringt. Die Oper Leipzig verweigert sich dem Anspruch ihres Publikums auf szenisch und musikalisch schöne Wirkungen nicht, sie punktet in fast jedem Zyklus mit Rollen- und Hausdebüts. Als Dritte Norn tastet sich Publikumsliebling Olena Tokar ins Wagner-Fach vor, überregionale Gäste geraten über Ensemblesäulen wie Katrin Göring als „Walküre“-Fricka und Waltraute oder Tuomas Pursio als Alberich in „Siegfried“ und Gunther ins Schwärmen.

Das Rheingold

Bewegung gibt es bei anderen Partien: Seit ihrem Leipzig-Debüt hat Gabriela Scherer den Fachwechsel vom Mezzo zum Sopran hinter sich, tritt auf als Freia, die im vokalen Anspruch meist unterschätzte Partie der Walküre Gerhilde und Gutrune. Als junger Siegfried löst Thomas Mohr jetzt Christian Franz ab und wird weiterhin in „Götterdämmerung“ auftreten. Lise Lindstrom und Iréne Theorin übernehmen die „Götterdämmerung“-Brünnhilde von Christiane Libor, die dafür als Senta in die Neuproduktion des „Fliegenden Holländer“ einsteigt. Simon O’Neill, weltweit unterwegs in Sachen Wagner und ab 2020 Münchens neuer „Parsifal“, übernimmt den Siegmund. Besonderes Gewicht durch die Besetzung mit einem echten Belcanto-Sopran erhält das Waldvöglein von Bianca Tognocchi, die im Sommer 2018 als Nachtigall in Walter Braunfels‘ „Die Vögel“ einen weitaus umfangreicheren Vogel-Part bei den Tiroler Festspielen Erl singen wird. Neugierig machen Sebastian Pilgrim als Fasolt und vor allem Hagen, der als die anspruchsvollste Partie des „schwarzen Bass-Faches“ gilt, sowie Randall Jakobsh als Hunding und Fafner (in „Siegfried“).

Annotation:

Sa 06.04.2019, 19:30 Das Rheingold – So 07.04., 17:00 Die Walküre – Fr 12.04., 17.00 Siegfried – So 14.04., 17.00 Götterdämmerung

Mi 01.05.2019, 17:00 Das Rheingold – Do 02.05., 17:00 Die Walküre – Sa 04.05., 17.00 Siegfried – So 05.04., 17.00 Götterdämmerung

www.oper-lepizg.de (Karten auch für einzelne Vorstellungen im Vorverkauf)

 

Was noch:

  • Der fliegende Holländer (Neuproduktion) Mo 22.04.2019, 18:00 – So 12.05., 18:00 – Fr 17.05., 19:30 – Do 30.05., 18:00 Mo 10.06., 17:00 – www.oper-leipzig.de
  • Der Beginn des Vorverkaufs  für die Richard-Wagner-Festtage der Oper Leipzig  mit allen Bühnenwerken Richard Wagners vom 21. Juni bis zum 14. Juli 2022  ist in Vorbereitung. Derzeit arbeiten die Stadt Leipzig und die Oper noch an der Preisstruktur.
  • Neuproduktionen von „Tristan und Isolde“ (Regie: Leipzigs Schauspielintendant Enrico Lübbe, ab 5. Oktober 2019) und „Lohengrin“ (Regie: Katharina Wagner in Koproduktion mit dem Gran Teatro Liceu Barcelona, Spielzeit 2020/21) werden das Wagner-Repertoire in dessen Geburtsstadt vervollständigen

Credits:

alle Fotos: © Oper Leipzig/Tom Schulz

veröffentlicht am 23.03.2019

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