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Verdis „Don Carlo“ an der Oper Leipzig

Verdis „Don Carlo“ an der Oper Leipzig

Wenn sich der Vorhang in der Leipziger Oper zur Neuinszenierung von Verdis „Don Carlo“ hebt, ist die mit diesem Werk gestellte Frage nach der Chance für eine Liebe in Zeiten antagonistischer Konflikte schon mit einem klaren, harten Nein beantwortet. Wir sehen ein schwarzes, fensterloses Labyrinth aus Nischen, Kammern, Verliesen, Gängen und Treppen. Es muss ein übler Nachttraum von Ausstatter Markus Meyer gewesen sein, der das ersonnen und auf die Drehbühne des Opernhauses geklotzt hat. Dieser schwarze Ort ist das letzte. Hier muss jedes Gefühl verkümmern. Hier funktionieren nur Macht und Tod. Hier rollen die Särge. Privates Leben wird in dieser Atmosphäre nicht glücken.

Kein richtiges Leben im falschen

Der sich nach solchem privatem Glück verzehrende Infant von Spanien, dem der eigene Vater die geliebte Frau wegheiratete, trägt als einziger in der dunkel-düster gewandeten Gesellschaft ein helles Kostüm mit Clownskragen. Die Szene beginnt damit, dass der tragische Clown Don Carlo seinen Selbstmord vorbereitet, den er am Schluss dann hoch theatralisch ausführt. „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“, würde Theodor W. Adornos Diktum lauten. Von der dramatischen Abwärtsdynamik wie in den Bann geschlagen, wohnt der Zuschauer diesem sich Schritt für Schritt seinem vorhersehbaren Ende näherndem Spiel bei. Diese Inszenierungsidee von Jakob Peters-Messer hat ihre Stärke in dieser Sogkraft. DonCarlo_Gaston_RiveroKirsten_Nijhof

Zeitlich angesiedelt ist alles weitestgehend im Spanien des 16. Jahrhundert. Wenige heutige Zitate, wie die Pistole, mit der sich Carlo aus dem Leben in den Tod befördert, stören nicht. – Wirklich störend und ein peinlicher Ausrutscher ins Erklär-Theater sind die Bilder im Autodafé: Die schwarzen Wände des Escorial werden hoch gefahren und geben den Blick frei auf Berge von Totenschädeln. Die tragen dunkel Brillen, so wie die Kleriker und der Großinquisitor.

Gespielt wird die vieraktige Mailand-Fassung von 1884, die beim Zuschauer eine gewisse Kenntnis der Umstände voraussetzt. Die Inszenierung hält sich nicht mit langen Erklärungen auf, sondern meißelt geradezu die verhängnisvollen psychologischen Grundmuster heraus, die von den Darstellern in unterschiedlichen Graden angenommen werden. Riccardo Zanelatto singt mit seinem weich klingenden Bass einen gleichermaßen von Verfolgungswahn gequälten wie auch sich selbst bemitleidenden Filippo. Er lehnt sich an den Großinquisitor, Rúni Brattaberg, an, oder der sich an ihn. Brattaberg mit einer machtvollen, kraftgebenden Stimmgewaltverkörpert so auch stimmlich den wirklichen Machthaber auf diesem seelischen wie politischen Schlachtfeld.

Kein ausgeglichenes Sängerfeld

Freuen kann sich Leipzig über die Besetzung der Titelpartie mit dem grandiosen Tenor Gaston Rivero, der wie für das italienische Fach geboren scheint, dessen Stimme sich weich schmiegt und doch in der Höhe tenoral glanzvoll auftrumpft. Ihm zur Seite der Freund Rodrigo von Posa. Wie bei König und Großinquisitor verkörpern sich bei Carlo und Rodrigo die Figuren auch in den Stimmen. Der sehr modulare Bariton von Mathias Hausmann war für mich mit seinen subtil samtigen Klängen das Hörenswerteste unter den Sängern an diesem Premierenabend. DonCarlo_HP1_22092017_KirstenNijhof_KCN5367

Die Frauen haben es schwer, sich daneben zu behaupten. Bei den gigantischen und teils gefürchteten Partien blieben hinsichtlich der Größe an diesem Abend Fragen. Die Elisabetta von Gal James hielt sich zu sehr zurück und ging damit auch trotz ihrer bemerkbaren Steigerung nach der Pause neben den auftrumpfenden Männern unter.

Kathrin Göring steigert mit technische Beherrschung und Tonschönheit ihre Eboli stimmlich hoch exaltiert zu einer überzeugenden Furie. Der Stimme fehlte wiederum in der Tiefe der Partie die Mozzowärme und die hier nötige Erdigkeit und Trauer. Ich möchte allerdings nicht unerwähnt lassen, dass das Publikum von beiden Künstlerinnen hingerissen war und ihnen mit großem Beifall dankte.

Das Gewandhausorchester hörte man unter der Leitung von Anthony Bramall. Es war für sich genommen ein Genuss, weich fließend, den eher diskreten Einsatz von Charakterfarben und immer wieder jene Streicher-Aureolen, die das düstere Stück so mystifizieren.

Abschiede

Wenn der Leipziger „Don Carlo“ von 2005 auf Grund der verquasten Inszenierung des damaligen Leipziger Schauspielintendanten den Enthusiasten in Erinnerung blieb, wird des die aktuelle Inszenierung auf Grund der hier geschilderten unendlich reichen musikalischen Umsetzung durch das Gewandhausorchester unter Anthony Bramall bleiben.

Bramall hat Leipzig viele große Verdi-Aufführungen geschenkt. Jetzt verabschiedet er sich nach München als Musikalischer Leiter des Theaters am Gärtnerplatz. Ebenfalls Abschied nehmen muss das Leipziger Publikum vom Leiter des Opernchores Alessandro Zuppardo. Er hinterlässt einen Chor der Extraklasse, was dieser auch in dem hier zum Besuch empfohlene „Don Carlo“ bewies.

Moritz Jähnig

Annotation

Giuseppe Verdi „Don Carlo“. Oper Leipzig, Premiere 30.09.2017. Musikalische Leitung: Anthony Bramall, Regie: Jakob Peters-Messer, Bühne: Markus Meyer, Kostüme: Sven Bindseil, Lichtdesgin: Guido Petzold, Choreinstudierung: Allessandro Zuppardo, Dramaturgie: Elisabeth Kühne, Gewandhausorchester, Violincello: Daniel Pfister, Chor der Oper Leipzig. – Filippo: Riccardo Zanelli, Don Carlo: Gaston Rivero, Rodrigo: Mathias Hausmann, Großinquisitor: Rúni Battaberg, Elisabetta: Gal James, Prinzessin Eboli: Kathrin Göring, Tebaldo: Magdalena Hinterdobler, Stimme vom Himmel: Danae Kontora, Mönch: Randalf Jakobsh, Graf Lerma/Herold: Sven Hjörleifsson

Fotos: © Kirsten Nijhof

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