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Absturz ins Rechts

Absturz ins Rechts

Diese Uraufführung von „Ein Berg, viele“ hätte es nie geben dürfen! meint unser erschrockener Kritiker

Henner Kotte.

Vorspiel

Corona bewusst ist sich das Schauspielhaus und hat Zettelchen bereitgelegt, die den geneigten Zuschauer künden, wie er sich vor, während und nach der Vorstellung zu verhalten habe. An die Maßgaben halten sich viele, doch zwischendrin so hippe Leute, die ab und zu an einem Sektkelch nippen oder sich Schokogebäck zwischen die Zähne schieben. Auf Nachfrage wird dem Risikobehafteten mitgeteilt: Die derfen das, weil sie grad buffetierten. Besser noch, es derften am gleichen Glase zwei, drei, auch ganz viele nippen, die wären dann ob dieses Trinkgenusses vom Allgemeinheitsschutzzwang befreit. Das macht schaudern, und es kann den Rat nur geben, wer keine Maske tragen will, bringe sich sein Gläschen mit oder stecke sich einen Lollilutscher in den Mund. Dieser laxe Umgang beim heiß diskutierten Thema hätte mir zu denken geben sollen, denn im Saal wird’s dann ganz gruselig, nicht coronamäßig – nein: Die Klischees von Afrikas Wilden werden ganz im Sinne ultrarechter Gesinnung vorgeführt.

Schauspiel

„Es muss eine Auseinandersetzung mit unserem weißen Erbe stattfinden“, sagt Autorin Magdalena Schrefel und ließ sich von einer wahren Geschichte bei der Erforschung des afrikanischen Kontinentes inspirieren: Ein Geograf vermeinte, dass ein Gebirge existiere, welches den Niger kurvig durchs ebene Land fließen lässt. Gut, die vielen Berge gab es nicht, aber des Wissenschaftlers Kinder brechen auf, um das Dort zu erleben. Da sie die Sprache der schönen Wilden nicht verstehen, nennen sie sie wie einst der Vater einfach Pearl. Na, die Pearl wird sich ob dieser Vereinnamung freuen. Auch eine Pearl (auf einer anderer Personen-, Zeit- und Intellektebene selbstverständlich) dreht einen Dokfilm über Europas koloniales Erbe, und begegnet einem Ismael, der partout seine Riten, Kunst und Meinung schützen will. Na, da wird der Kulturclash lustig, und die Journalisten pressen aus dem armen Ismael all seine Hoffnungen und Träume: Er will am Strand schöne Dinge schönen Menschen aus Europa verkaufen. Na aber, solche glücklichen Menschen sehen wir aller Orten und Strände. Diese Afrikaner haben’s geschafft, meint das Filmteam und kann sich über solche Authentizität richtig freuen.

Das Stück der Jungautorin Schrefel erhielt mehrere Theaterpreise. Im Schauspiel zu Leipzig mag man gedacht haben, holen wir uns das Recht der Uraufführung von der geehrten Dramatik, in der Diskothek ist das richtig und am Pulse der Zeit. Das gibt gute Presse über die Stadtgrenzen hinaus, zumal ja übern Hause Goethe (auch dem Theater Leipzig verbunden) die gute Absicht verkündet: „Ein Land das seine Fremden nicht schützt, ist selbst dem Untergang geweiht.“ Wir sind die Guten! Ein doppelter Fehlschluss.

Vor Beginn stehen vier Akteure mit asiatisch anmutender rosaroter Haartracht in rosarotem Sackleinen und verkünden, als es losgeht, sie seien jetzt mal jener und dieser und dann wieder andere Menschen. Oh, denkt der Zuschauer, ein Vexierspiel, wie schön. Vor den rosaroten Gestalten liegen all jene Accessoires, die uns Weißen Afrika so liebenswert machen: ein großer goldener Pimmel (ja, die Neger schnackseln besser!), ein ganz weißes Gebiss (die putzen sich nicht mal die Zähne!), eine Medizinmannmaske mit lustigen Troddeln und großen Augen, auch der süße Mammuth fehlt nicht. Jetzt geht’s los, und die zu verwechselnden Mimen wechseln rasend schnell ihre Rollen. Aber die Regisseurin gibt den Verwirrten im Zuschauerraum Orientierung: Wenn die Darsteller Kind, sprechen sie heliumverzerrt piepsig hoch. Das ist witzig. Wenn sie Filmteam geben sie sich sehr affektiert. So sind die vom Film, weiß ja jeder. Als Wissenschaftler sprechen sie wissend vom hohen Ross, als Butler liebdienernd untertänig, als Kolonialisierter ganz traurig. Gibt’s da Fragen? Verblüffend nur, dass niemals ein dem Text angemessener Ton getroffen wird. Verstörend, dass Mime Thomas Braungardt gar nicht anders kann, als knallchargierend zu artikulieren. Ihm zur Seite stehen Paulina Bittner, Anne Cathrin Buhtz und Patrick Isermeyer. Wesentlich besser machen sie nichts.

Das Bühnenbild im weiblichen Team erdachte Julia Nussbaumer, und ihr Ambiente soll wohl absichtlich an die Käfige erinnern, in denen einst Ernst Pinkert Leipzig fremde Völker präsentierte. Wir diskutieren gerade darüber, ob er zu verdammen sei. Er ist es nicht, aber die Künstler sehr wohl. Regisseurin Pia Richter nutzt Licht und Ton und lässt die Darsteller hin und her laufen, Mikrofone halten, hinter Glas malen. Absicht und Sinn kann der Rezensent nicht erkennen und der Text der Frau Schrefel gibt ob der springenden Personage und ihrer Themen auch gar keine her. Doch alle Klischees werden bedient, mir scheint, keines ausgelassen: Die eingeborene Pearl wird vergewaltigt vom rosaroten (wir wissen: dem weißen!) Mann. Der Akademiker lag vollkommen falsch mit seiner Theorie vom afrikanischen Kontinent: Achtung – Parallele Corona: Auch Wissenschaftler irren! Zu diesem Gegenwartsbezug (ja, ein solcher muss sein) versprüht der Kolonialisator Desinfektion und verkauft sie dem Volke als Tee. Ganz wie es die Corona-Leugner sagen. Aber völlig nach rechts kippt die Inszenierung, wenn der geschundene Flüchtling nach Aufsage aller erlebter Verbrechen aus seinem Glaskäfig steigt und gar nicht traumatisiert ist. Er hat all sein Elend nur fürs Filmteam aufgesagt: Die wollten’s halt genauso hören. Lügenpresse! Lügenpresse! Diese braune Mixtur wird weder gebrochen noch kommentiert und man fragt sich, wo war hier die ordnende dramaturgische Hand? Die gehörte Marlen Ilg und griff nicht ein, verfasste aber den hübsch helfenden Text, wie wir das Stück zu interpretieren hätten. Nein! So wie sie’s gern hätte, so sehen wir’s ganz und gar nicht!

Was also bleibt vom erlebten Disaster? Nur der Rat: Raus aus dem Spielplan, sonst kommen Pegida und weitre Konsorten und klatschen unterm Goethe-Zitat Beifall. Spricht sich das rum, nicht unvorstellbar. Auch am Abend haben viele den Künstlern Applaus nicht verweigert.

Vermutetes Nachspiel

Ich weiß um die Argumente, die man mir vom Team jetzt entgegenschmettern wird: So haben wir das nicht gemeint. Solche Propaganda lag niemals in unserer Absicht. Nie hätten wir gedacht, dass … Wir sind doch noch jung und entschuldigen uns und entschuldigen uns und entschuldigen uns. Verantwortliche werden reumütig bekennen: Davon haben wir gar nichts gewusst. Es ist auch nicht unserer Aufgabe, künstlerische Freiheit zu beschneiden. Wir sind erschüttert, sind erschüttert, erschüttert, ehrlich erschüttert. Spart euch das Reden, wir hören es tagtäglich auf allen Kanälen. Hier muss man handeln! Sofort!

Tatsächliches Nachspiel: Von Knödeln und Blasen

(Ergänzt nach einem Gespräch des Rezensenten mit dem Ensemble am 31.10.2020)

Natürlich freut es einen Rezensenten, wenn seine Kritik zur Kenntnis genommen wird und als Argument in einer Diskussion zum Stücke Platz finden soll. Ich bekam also Post vom Schauspielteam: „Guten Tag Herr Kotte, Ihre Rückmeldung haben wir gelesen, konnten der Argumentation aber nicht wirklich folgen. Sollten Sie Interesse an einem Austausch haben, können Sie gerne an einem der Nachgespräche teilnehmen, die nach jeder Vorstellung stattfinden werden. Sowohl das Team als auch ich stehen nach wie vor hinter der Inszenierung von ‚Ein Berg, viele‘ und dem szenischen Zugriff.“ Na denn, auf zum Gespräch.

Outet man sich im Diskussionsrahmen als derjenige, welcher für den Verriss verantwortlich zeichnet und für die Einladung dankt, wird man darauf hingewiesen, dass eine Einladung gar nicht erfolgte. Arbeitet man mit dem Zitat der Gräfin von und zu, wird man gebeten, das N-Wort fürderhin zu vermeiden. Das N-Wort muss nicht sein, klar, aber beim Thema Kolonialismus und die Jahrhundertsicht der Weißen darauf und als oft wiederholtes Zitat, verblüfft’s denn doch. Allerdings konnte man meiner unerwartet anderen Argumentation und Sichtweise folgen: Ja, durchaus, man kann das preisgekrönte Stück als einen undramatischen Text betrachten und die Inszenierung misslungen finden. Aber viele, viele (auch im anwesenden Zuhörerraum) sahen’s nicht so. Ja, die von uns genutzte Symbolik sei die lang und immer wieder tradierte: Penis, Maske und Dschungelhits, das alles wird jedoch hinterfragt, meinen die Macher*innen. Natürlich stehe mir frei, es nicht so zu sehen. Nein, so, wie gewollt, sehe ich es nicht! Und eben dann wird es gefährlich, denn so frei betrachtet, kann diese Inszenierung auch als knallrechte Propaganda gelesen werden. Dem wurde vom Team nichts entgegengehalten. Aber mir so Argumentierenden haben aufrechte Diskutanten vehement widersprochen, denn so kann man doch die Dinge nimmer sehen, sie waren vom Kolonialabend sehr angetan und ehrlich erschüttert, gehen nach Hause und werden nun über sich selber nachdenken. Da schloss sich denn die Filterblase, und man war’s zufrieden. Aber was man denn dann mit dem Stücke nun wolle? Die Antwort: Wenn der Zuschauer nunmehr die Fakten von Wissenschaft und Tagesschau auf ihren Wahrheitsgehalt mal prüfe, sei doch schon mal viel gewonnen. Faktencheck durchführen – dass dies allein genügt, scheint mit für die Arbeit eines Stadttheaters reichlich wenig. Vor allem dann, wenn sie auch nach rechts ausladend einfach so und unwidersprochen gelesen werden kann. Fragte man den nun eintreffenden Mimen, der den ganzen Abend nur knödeln und keinen Satz in Normallautung hersagen durfte, hielt man meiner Frage entgegen, dass ich wohl nicht seine darstellerische Leistung einzuschätzen vermag. Mir tat der Mime nur leid, und dem Stück tat seine Aussprache nicht gut. Und selbst wenn ich in diesem Manne gar kein Talent sehen könnte, der Zuschauer hat das Recht, die Eignung eines jeden (wo auch immer ob Polizist, Politiker, Intendant oder Oberbürgermeister) anzuzweifeln. Das ist jeder Tätigkeit immanent, meiner auch. Aber wenn die Diskussion solche persönliche Tiefe erreicht hat, erübrigt sich die Fortführung eines jeden Gesprächs. In diesem Sinne ging die Filterblase auch nicht mehr auf, man genügte sich selbst. Aber, Herr Kotte, hielt ich mir entgegen, uneingeladen geht man eben auch auf keine Fete, und um elfe machten die Kneipen dicht. Einfach dumm gelaufen!

Annotation:

Schauspiel Leipzig, Diskothek, „Ein Berg, viele“ von Magdalena Schrefel, Uraufführung am 27.09.2020, Regie Pia Richter, Bühne und Kostüme Julia Nussbaumer. Dramaturgie Marleen Ilg, Licht Thomas Kalz: Besetzung Paulina Bittner, Thomas Braungardt, Anne Cathrin Buhtz, Patrick Isermeyer

Was noch?

Nächste Termine: Do, 01.10., Schauspiel unterwegs, Eröffnung der Kleist-Festtage 2020, Kleist Forum Frankfurt (Oder), Fr, 09.10. 20 Uhr, Diskothek, Sa, 31.10. 20 Uhr, Diskothek

Karten über Telefon: 0341 12 68 168, E-Mail: besucherservice@schauspiel-leipzig.de

Credits:

Besuchte Vorstellung: 27.09., veröffentlicht:28.09.2020

Foto: © Rolf Arnold

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