Drei künstlerische Positionen zwischen Figuration und Auflösung im Kunstraum ARS AVANTI Leipzig
Als ein früher, erster Höhepunkt im Ausstellungsjahr darf die Schau BLURRING mit Malerei von Sebastian Friedrich, Diego Palacios und Johannes Traub im ARS AVANTI Kunstraum der Alten Handelsschule gewertet werden.
Von Dr. Barbara Röhner

Schon der Ausstellungstitel BLURRING liess Spannendes erwarten, denn in der Bedeutung von Unschärfe, Verschwommenheit, Weichzeichnung, aber auch Verwischung bis hin zu Aufweichen treffen hier drei unterschiedliche Auffassungen der figurativen Malerei bis hin zur abstrakten Auflösung aufeinander. Erstmals in dieser Dreierkonstellation präsentieren die Künstler ihre neuesten Werke und lassen trotz der Unterschiede der jeweiligen künstlerischen Handschrift einige Verbindungen erkennen, auch wenn sich diese nur unscharf andeuten lassen.

Diego Palacios – Unschärfe als Spiegel der Gesellschaft
Dem Titel BLURRING kommt auf den ersten Blick die Malerei des in Chile geborenen und über längere Aufenthalte in Frankreich und Schweden 2018 nach Leipzig zum LIA Artist-Programm gekommenen Künstlers Diego Palacios am nächsten. Oftmals erkennt man seine Motive erst aus der Entfernung. Unschärfe kennzeichnen aber auch seine Bilder, die um die Themen der Intimität, Entfremdung und die zerstörerische Rolle der Technologie kreisen und das dargestellte Umfeld im Unklaren belassen. Darin spiegeln sich sowohl tiefe Sehnsüchte und die Rolle des Glaubens als auch der Zustand unserer Gesellschaft wider.
Bemerkenswert ist auch Palacios‘ Fokussierung auf die Vier-Farben-Palette (Apelles-Palette) des Polygnot, der im 5. Jh. durch die Beschränkung auf Rot, Gelb, Schwarz und Weiß ein bräunliches Kolorit hervorrief.

Sebastian Friedrich – Präzise Figuren mit unscharfen Bedeutungen
Referenzen zur griechischen Antike gibt es ebenfalls im Werk von Sebastian Friedrichs Serie der „olympischen Musen“. Hier präsentiert Friedrich, der an der Burg Giebichenstein Malerei studierte und heute in Leipzig lebt und arbeitet, acht kleinformatige Bilder, die im Gegensatz zu Palacios‘ Malerei gestochen scharf gemalte Frauen aus heutiger Zeit zeigen. Durch ihre Haltung, ihren Ausdruck oder ein charakteristisches Symbol sind sie als Musen erkennbar, wie z. B. Kalliope, die Muse der Philosophie, an ihrer nachdenklichen Pose oder Thalia, die Muse der Komödie, mit einer lachenden Theatermaske. Andere durchweg weibliche Personen erscheinen hingegen in konzentrierter Arbeit oder entspannten Momenten, ohne auf erotische Konnotationen zu verzichten.
So gestochen scharf Friedrichs Bilder auch sind, rufen sie im übertragenen Sinne eine Unschärfe zwischen klassischer Malerei und zeitgenössischer Ästhetik hervor.

Johannes Traub – Rätselhafte Zwischenwelten aus Farbe und Form
Geradezu maskulin wirkt hingegen Johannes Traubs Malerei zwischen Figuration und Abstraktion. Traub, der ebenfalls an der Burg Giebichenstein studierte, zählt heute zu den profilierten Vertretern der Gegenwartskunst in Halle. Pastöse Spachtelmasse formt sich in seinen Bildern zu angedeuteten Figuren oder Gesichtern auf geometrischem Untergrund. Linien und scharfe Konturen ziehen den Betrachter unvermittelt in ein Geschehen, das etliche Rätsel aufgibt. Haben wir es hier mit Gegebenheiten im Orbit zu tun oder eher mit apokalyptischen Zuständen auf unserer Erde? Findet hier womöglich eine Symbiose von Mensch und Maschine statt, übernimmt vielleicht die KI die Herrschaft? Welche Konsequenzen hätte das für den Menschen?
Antworten auf all diese Fragen gibt die Kunst freilich nicht. Eine Auseinandersetzung mit den Verschiebungen und Unschärfen unserer Zeit kann sie hingegen sehr wohl befördern.
Alte Handelsschule, Kunstraum ars avanti e.V., 2. OG, Gießerstr. 75, 04229 Leipzig
Kontakt: Tel. 0341-2123877, info@arsavanti.de
Infos: www.arsavanti.de // https://www.instagram.com/arsavanti/
Credits:
Text: Dr. Barbara Röhner, Kunsthistorikerin und Kuratorin, Leipzig
Fotos: Autorin.
Foto oben – Sebastian Friedrich: Serie „Musen“ (v. li.), obere Reihe: Thalia, Klio, Terpsichore, Kalliope; untere Reihe: Polyhymnia, Melpomene, Urania, Erato (Ausschnitt)
Alle Rechte bei den Künstlern.
Veröffentlicht 24.2.2025
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