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Leipzig: Der Gips der Geschichte

Leipzig: Der Gips der Geschichte

Schauspielstudenten erobern „Die lächerliche Finsternis“.

Sie heißen Philipp Adrian Djokić, Matthis Heinrich, Leonhard Meschter, Ellen Neuser, Ronja Oehler und Ronja Rath, Laura Storz, Paula Vogel und Leonhard Wilhelm. Sie studieren und verstärken derzeit das Ensemble des Leipziger Schauspiels, um Berufserfahrung zu sammeln. Zum Abschluss präsentieren sich die Eleven mit einer Inszenierung, die ohne Altvordere auskommt: „Die lächerliche Finsternis“ soll in lichte Zukunft führen. Die Stückwahl von Regisseur Jonas Fürstenau steht ganz in gegenwärtiger Tradition der institutionellen Leipziger Bühne und zeigt uns eine Bearbeitung eines englischen Romans, der Hollywood als Filmstoff diente, der einem deutschen Hörspielautor Interpretationsfläche gab und nun in der Bearbeitung von Jonas Fürstenau seine Leipziger Theaterpremiere erlebte.

Logischerweise wird solche Textwahl und deren Inszenierung narrative Bühnenkunst, die auf Dramatik im eigentlichen Sinne weitgehend verzichtet. Diese Beschränkung aber gibt den Eleven die Möglichkeit, ihr rezitatorisches Geschick zu offenbaren, muss jedoch auf körperliche Agilität und theatrale Charakterentwicklung verzichten. Ob sich davon potentielle Arbeitgeber überzeugen lassen, werden potentielle Arbeitgeber entscheiden.

Die Geschichte fußt auf jener Fahrt ins „Herz der Finsternis“ von Joseph Conrad, auf der die Bootsfahrt eines Seemanns in den afrikanischen Dschungel zu den Greueltaten des Kolonialismus führt. Francis Ford Coppola lässt des Matrosen Reise in der Unmenschlichkeit des Vietnam-Kriegs enden. Wolfram Lotz fügte seinem Hörspiel Europas späterhin sinnlose Verteidigung am Hindukusch zu. Zur Premiere der Neufassung für Leipzig wurde nach dem verdienten Applaus um Spenden für die Ukraine gebten. Mehr im Taumel der Zeit kann eine Theatergeschichte nicht sein. So wirken die Gespräche und Monologe des Stücks wie Nachrichten-Kommentare zum Zeitgeschehen und erlangen durch die gekonnten Interpretationen erstaunliche Tiefen. Auch beweisen die jungen Mimen ihr stimmliches Talent für Melodien und Naturgeräusche.

Inszenierung und Bühnenbild (Fabienne Müller) vermeiden wohltuend aufgepepptes Schnickschnack und zeigen die Suppe, die sie sich selbst eingebrockt haben per laufendem Videostream.

Auch auf Misslichkeiten mussten die Studenten reagieren lernen. Einer von ihnen spielte einen trümmergebrochenen Fuß und ging an Krücken. Dieser Gips hob das Geschehen auf eine sehr persönliche Ebene. Nicht nur dieser Effekt ließ weitere Potenzen der jungen Darsteller ahnen. Ein Abend, der einen Ausschnitt der erlernten Schauspielkunst zeigte und sowohl den Akteuren wie dem Publikum Anlass zu guten Hoffnungen gibt. Henner Kotte

ANNOTATION

Die lächerliche Finsternis“ nach einem Hörspieltext von Wolfram Lotz für die Bühne bearbeitet von Jonas Fürstenau.

Regie: Jonas Fürstenau; Bühne: Fabienne Müller; Kostüme: Helene Subklew; Dramaturgie: Matthias Döpke; Licht: Mattheo Fehse; Arrangements & musikalische Einstudierung: Alex Röser .Besetzung: Philipp Adrian Djokić, Matthis Heinrich, Leonard Meschter, Ellen Neuser, Ronja Oehler, Ronja Rath, Laura Storz, Paula Vogel, Leonard Wilhelm

CREDITS

Text: Henner Kotte, freier Theaterkritiker und Autor, Leipzig

Fotos: © Rolf Arnold

Besuchte Vorstellung: Premiere am 05.03.2022; veröffentlicht: 06.03.2022; Aktualisierung: 07.03.2022

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