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Leipzig: „Norma“, eine schöne Herausforderung

Leipzig: „Norma“, eine schöne Herausforderung

Selbst eine unpassende Einkleidung kann den Erfolg der Bellini-Oper nicht schmälern

Stückeinführungen mit Kara McKechnie sind in der Leipziger Oper ein besonderes Vergnügen und mitunter unverzichtbar. Ohne den Hinweis der Dramaturgin auf den herbeiinszenierten tieferen Sinn des Bildes „Im Tempel des Irminsul“ gehen die Zuschauer spätestens im zweiten Akt der „Norma“ komplett unter.

Von Moritz Jähnig

Szene vor dem Tempel, einem geplünderten Museum

Im Programmheft erklärt Ausstatter Markus Meyer, beim Tempel handle es sich um ein geplündertes Museum: Auf den Treppenstufen zu einem antiken, römischen Portikus liegen verstreut ein paar Gemälde aus dem 19. Jahrhundert. Warum nicht.

Ein Druidenhain als Kellergewölbe?

Vorher schon hat die Inszenierung den heiligen Druidenhain in einem zum Hospital umgewidmeten Kellergewölbe unter einer Kirche verortet. Irgendwie katholisch anmutend steht auf der rechten Bühnenseite ein Altar. Vor diesem singt Norma in der Kluft einer leitenden Krankenschwester die berühmte Cavatine, auf die das Opernpublikum so sehnlich wartet. Vorher bekreuzigt sie sich andeutungsweise. Größer kann der Kontrast zum ikonischen Vortrag einst von Maria Callas an dieser Stelle kaum sein. Das ist sehr gelungen.

Die Operpriesterin als Krankenschwester im Militärhospitz

Normas Wohnung zeigt einen Raum mit verglasten Zwischenwänden. Es könnte das Büro einer vielbeschäftigten Werkleiterin sein, die von dort aus alles in einer dahinter zu ahnenden Produktionshalle im Auge behält. Aber Norma hat nichts im Griff. Sie ist völlig von der Rolle. Ihr inneres Durcheinander spiegelt sich in der Aufsässigkeit ihrer und Polliones Kinder. Sie tragen Uniformteile aus der italienischen Duce-Ära – ein Hinweis auf ihre Verbindung zum römischen Usurpator.

Nachhaltigkeit und künstlerischer Kompromiss

Warum diese schräge, schwer bis gar nicht verständliche Ausstattung für die 1831 in Mailand uraufgeführte Oper? Diese behandelt einen schweren moralischen Konflikt, verschlüsselt in damals übliche Phantasiebilder.

Mit dem Argument der Nachhaltigkeit wurde die Neuinszenierung vom Team um Regisseur Anthony Pilavachi in die Bühnen- und Kostümausstattung der coronabedingt ausgefallenen Aufführung von Saint-Saëns‘ „Barbaren“ aus dem Jahr 2021 gesteckt. Viel eigener Spielraum blieb da im Wortsinn nicht. Scheinbar ließ man der Wirtschaftlichkeit halber drauf ankommen.

Roberta Mantegna, Norma und Dominick Chenes, Pollione

Doch Upcycling funktioniert auf der Bühne nicht automatisch künstlerisch überzeugend. Das pompöse Ballkleid für die verzweifelte Novizin Adalgisa wirkt geradezu falsch. In einer Belcanto-Oper kommt es nicht allein auf den Gesang und schöne Töne an. Die Sängerinnen und Sänger sollten auch Sicherheit aus einer vorteilhaften Optik gewinnen können.

Ob die Integration der von Richard Wagner für den ersten Akt geschaffenen Arie des Orovese, „Norma il predisse“ (bei der Premiere gesungen von Randall Jakobsh), ein Gewinn ist, könnten vielleicht lokale Wagner-Enthusiasten bejahen. Musikalisch oder dramaturgisch überzeugend war dieser Zusatz nicht.

Musikalisches Leuchten trotz szenischer Schatten

Neben den genannten Schwächen verströmt diese Bellini-„Norma“ viel Schönes. Das Gewandhausorchester spielte Vincenzo Bellinis Komposition mit traumhafter Sicherheit, als gehöre der italienische Meister zu den Hausgöttern am Augustusplatz. Der nervös machende, sizilianische Blechklang fehlte fast völlig; stattdessen bot das Orchester Wohlwollen, Breite und Herzenswärme im Überfluss.

Daniele Squeo führte den Klangkörper mit großer Transparenz und sicherer Hand. Beim Belcanto muss ein Dirigent mit dem Sänger atmen und die Stabführung für Momente der Stimme auf der Bühne übergeben. In diesen Passagen weniger zu treiben, wäre ein Wunsch, dessen Erfüllung in den kommenden Vorstellungen zu erhoffen bleibt.

Szene Chor der Leipziger Oper, vorbereitet von Thomas Eitler de Lint
mit Roberta Mantegna, Norma und Dominick Chenes, Pollione

Herausragende Stimmen und ein eindrucksvolles Ensemble

Die in Palermo aufgewachsene und international bekannte Sopranistin Roberta Mantegna als Norma sowie die durch viele unvergesslich gestaltete Partien mit der Leipziger Oper verbundene Kathrin Göring als Adalgisa ergänzen sich überwältigend. Zwei seelenvolle Sopranklangfarben vereinten sich zu einem musikalischen Erlebnis der Extraklasse.

Roberta Mantegna sang ihre große Cavatine zu Beginn zurückgenommen, doch ihre darstellerische und stimmliche Ausdruckskraft wuchs im Verlauf des Abends mehr und mehr. Dominick Chenes in der Partie des Pollione zeigte eine ähnliche Entwicklung und brillierte schließlich mit beeindruckender Sicherheit in den Spitzentönen, etwa in „Meco all’altar di Venere“.

Auch Gabrielė Kupšytė als Clotilde und Matthias Stier als Flavio überzeugten in kleineren Rollen. Der Leipziger Opernchor, einstudiert von Thomas Eitler de Lint, dominierte seine Szenen eindrucksvoll und war ein tragender Bestandteil des musikalischen Erlebnisses.

Fazit: Musikalisch glänzend, szenisch herausfordernd

Die erste Neuinszenierung von Bellinis „Norma“ am Augustusplatz hat Geschichte geschrieben. Musikalisch und sängerisch bewegte sie sich weit über Stadttheaterniveau und erreichte internationalen Rang. Die szenische Umsetzung hingegen schrammte knapp an einem Misserfolg vorbei. Diese Inszenierung ist eine Herausforderung – für das Publikum, sich einen eigenen Eindruck zu bilden.

Annotation

„Norma“. Tragedia lirica in zwei Akten von Vincenzo Bellini | Libretto von Felice Romani. Musikalische Leitung: Daniele Squeo, Inszenierung Anthony Pilavachi, Bühne, Kostüm: Markus Meyer, Licht: Michael Röger, Dramaturgie: Kara McKechnie, Choreinstudierung: Thomas Eitler de Lint

Besetzung

Pollione: Dominick Chenes, Oroveso: Randall Jakobsh / Yorck Felix Speer, Norma: Roberta Mantegna, Adalgisa: Kathrin Göring, Clotilde: Gabrielė Kupšytė, Flavio: Matthias Stier, Kinder Normas und Polliones: Leopold Görmar / Naila Warmuth / August Karlström / Antonia Voigtmann, Chor und Komparserie der Oper Leipzig, Gewandhausorchester

Premiere und besuchte Vorstellung 1.12.2024; veröffentlicht 4.12.2024; 21.02 Uhr

Credits

Text: Moritz Jähnig, freier Theaterkritiker Leipzig, Herausgeber

Fotos: © Tom Schulze

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