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Leipzig: Sehr beifällig aufgenommen

Leipzig: Sehr beifällig aufgenommen

„Die Zauberflöte“ inszeniert von Musicalspezialst Matthias Davids

Das Programmheft nennt drei wichtige Daten: 30. September 1791 Uraufführung der „Zauberflöte“ in Wien, 25. Januar 1793 Erstaufführung in Leipzig, neuerliche Premiere hierselbst am 23. Oktober 2023. In 230 Jahren gehörte das in Originalfassung dreistündige Werk in vielen Deutungen immer mit großem Erfolg in Leipzig auf dem Spielplan.

Von Moritz Jähnig

Ausverkauft auch die beiden ersten Aufführungen der nun neuen Leipziger „Zauberflöte“, für die das Haus den ausgewiesen Musical-Experten Matthias Davids aus Linz verpflichtet hat. Seine Mission, mit der Mozart-Produktion die am Augustusplatz laufende Erfolgsreihe „Undine“, „Peter Grimes“, „Don Giovanni“ u.a. fortzusetzen. Misst man Erfolg an Platzauslastung, Szenen- und Schlussapplaus, braucht es keiner prophetischen Gaben, um der David-„Zauberflöte“ über 2023 hinaus eine positive Bilanz vorauszusagen. Einer auch nur ansatzweise sensationellen Inszenierung oder sängerisch-musikalischen Interpretation ist der Erfolg nicht geschuldet. Der Dank geht an die Theatermänner Wolfgang Amadeus Mozart und Emanuel Schikaneder. Sie haben uns einen Geniestreich hinterlassen. Das Stück als Ganzes ist beliebt und „unsterblich“, weil inhaltlich so vielschichtig und von musikalischer Tief. Unter dem Klang von Silberglöckchen und Zauberflöte führt es die großen Diskurse der Menschheit. Jeder hört für sich heraus, was ihn emotional anfasst.

Der Text speziell ist leider nicht so zeitlos gültig und hält heute Unerträgliches bereit. Explizite Frauenfeindlichkeit, das Klischee vom Mohren, der das weiße Mädchen bedrängt, Standesunterschiede und vor allem ein exklusiver Cercle geweihter weißer Männer – das geht in einer Inclusivität anstrebenden Gesellschaft gar nicht. Also wird vom Regieteam voller Eifer entschärft, geglättet und neu formuliert. Nur keine Geschmacklosigkeit übersehen und anecken. Fraglich, was neue Formulierungen wie „Dieser überforderte, absurd gekleidete Komiker“ (Damen über Papageno) eigentlich produktiv machen sollen.

Ein Spiegelkabinett als Weltbühne

Zur Ouvertüre treten die Figuren vor den Vorhang, nehmen gemeinsam mit dem Publikum gewissermaßen Witterung mit dem Stoff auf und geben sich zu unserer Verwunderung ratlos. Doch dann geht’s gleich rasant los. Die Bühne ist streng genommen ein unten, links und rechts verspiegelter Raum mit schrägen Spiegelboden und Projektionsfläche auf der Rückwand ist. Dazu ein wenig vegetabiles Gestrüpp am Rande (Bühne und Video Mathias Fischer-Dieskau).

Direktor Schikaneder geizte seinerzeit im Freihaustheater Wien nicht mit Effekten. Bei Ihm fuhren die mächtigen Kulissen-Berge donnernd auseinander und der sternenbesetzte Thron der König der Nacht rollte nach vorn auf die Zuschauer zu. Heuer entwickelt Fischer-Dieskau Projektionen, mal von naiver Romantik, mal hoch artifiziell konstruiert, mal bleibt es beim neutralen Schwarz des Bühnen-Offs. Im Ergebnis ein nichtssagendes Reich, eine Welt im irgendwo, in der die Personen weder märchenhaft noch zeitgenössisch gekleidet (Kostüme Susanne Hubrich) sind. Behangen mit allerlei Zitaten treten die bekannten Figuren hastig auf. Für die sternflammende König schwebt ein goldenes Rokoko-Kleid aus dem Schürboden herab, in das sie von ihren Damen gehüllt wird. „Oh zittre nicht, mein lieber Sohn – Julia Sitkovetsky singt die Partie mit einer achtunggebietenden, klaren Höhe. Ihre Königin ist eine fröhliche Person, die sich im Rhythmus der Musik lebenslustig in den Hüften wiegt.

Junge Stimmen herausgestellt

Die Jugend im Stück ist erfreulicherweise durchgehend jung besetzt. So Maximilian Meyer als tenoral strahlender Tamino und Franz Xaver Schlecht, der als Papageno seinen teils blödsinnigen Text wirklich komisch rüberbringen kann. Samantha Gaul wird als Pamina in Leipzig erstmals exponiert gefordert und empfiehlt sich in jeder Weise mit dieser Interpretation. Alice Chinaglia (Papagena) gehört seit drei Jahren dem Opernchor an. In der „Zauberflöte“ überreicht sie unter starkem Beifall ihre Visitenkarte als Solistin auch am Augustusplatz.

Mit Dan Karlström (Monostatos) Randall Jakobsh (Sarastro) stehen bewährte Ensemblemitglieder auf der großen Bühne. Beide interpretieren mit ruhiger, figurenbezogener Haltung. Die drei locker spielenden und als Ensemble fein abgestimmt singende Damen dieser Vorstellung: Sarah Traubel, Yajie Zhang und Nora Steuerwald. Die Knaben: Leopold Görsch, David Oeding, Hannes Becker erfüllen ohne Tadel stimmlich Ihre Aufgaben. Die großen Chöre wurden von Thomas Eitler-de Lint vorbereitet und gestalten sich zu Höhepunkten der erlebten Auführung.

Die musikalische Gesamtleitung des Abends und des Gewandhausorchester lag in Händen von Michael Wendeberg. Professor Wendeberg ist ein Name mit zweifach gutem Klang: als Pianist und natürlich als Kapellmeister im benachbarten Opernhaus Halle. Hier dirigierte er neben anderem (Strauss, Verdi) den coolen Rollstuhl-„Don Giovanni“ von 2020.

Abschließende unvollständige Gedanken

Die Spiegel in Leipzigs „Zauberflöte“ spiegeln in übertragenem Sinne alle Trends und auch die generellen Schwierigkeiten unserer Zeit. Sparsamkeitszwänge werden zu Nachhaltigkeitsbemühungen. Komplexe Fragen der Aufklärung im Verbund mit der Sarastro-Männer-Bruderschaft, werden nicht wirklich vertieft. Alltagssprache und witziger Ausstattung schielen auf Nähe und Popularität. Gleichzeitig ist diese viele Wünsche offen lassende Inszenierung Unterhaltungstheater, das Beifall findet.

Annotation

„Die Zauberflöte“. Große Oper in zwei Aufzügen von Wolfgang Amadeus Mozart, Libretto von Emanuel Schikaneder. Musikalische Leitung Jonathan Darlington / Michael Wendeberg / Yura Yang / Ivan Repušić / Christoph Gedschold / Samuel Emanuel, Inszenierung Matthias Davids, Bühne und Video Mathias Fischer-Dieskau , Kostüme Susanne Hubrich, Licht Guido Petzold, Dramaturgie Kara McKechnie, Bühnenbildass Claudine Walter, Chor der Oper Leipzig, Gewandhausorchester zu Leipzig.

Besetzung: Sarastro Randall Jakobsh / Yorck Felix Speer, Tamino David Fischer / Matthias Stier / Sven Hjörleifsson, Sprecher Mathias Hausmann / Tuomas Pursio, Erster Priester Peter Dolinšek / Sejong Chang, Zweiter Priester Sven Hjörleifsson / Eberhard Francesco Lorenz / Álvaro Zambrano, Dritter Priester Marian Müller, Königin der Nacht Julia Sitkovetsky / Gloria Rehm, Pamina Samantha Gaul / Olena Tokar, 1. Dame Olga Jelínková / Sarah Traubel, 2. Dame Kathrin Göring / Yajie Zhang, 3. Dame Nora Steuerwald / Ulrike Schneider, 1. Knabe Ceano Hall / Leopold Görsch / Mariko Krohne, 2. Knabe Arthur Geisler / David Oeding / Rachel Ridout, 3. Knabe Hannes Becker / Jascha Elze / Lena Herrmann, Papageno Jonathan Michie / Franz Xaver Schlecht, Papagena Alice Chinaglia / Amelie Petrich, Monostatos Dan Karlström / Eberhard Francesco Lorenz, 1. geharnischter Mann Sven Hjörleifsson / Eberhard Francesco Lorenz / Álvaro Zambrano, 2. geharnischter Mann Peter Dolinšek / Sejong Chang, Sklaven Michael Chu / Ruben Olivares / Vincent Turregano / Hunyoung Choi / Máté Gál / Marian Müller

Premiere 28.10.2023; besuchte Vorstellung 4.11.2023; veröffentlicht 6.11.2023

Weitere Vorstellungen 11., 12., 19., 24., 29.11. 2023 u.a.

Credits

Text: Moritz Jähnig, freier Theaterkritiker und Herausgeber, Leipzig

Fotos: © Tom Schulz

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