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LEIPZIG: Los vom Mumpitz!
24.09.2021 Muko Leipzig HP1 „Die Juxheirat“Foto Tom Schulze tel. 0049-172-7997706 mail post@tom-schulze.com web www.tom-schulze.com

LEIPZIG: Los vom Mumpitz!

Die Muko Leipzig präsentiert in „Juxheirat“ Frauenbewegung anno 1904

Vorhang auf! In Stephan von Wedels Bühnenbild liegen die klassizistischen Säulen verquer. Ersichtlich: Die Stützen der Gesellschaft sind gefallen und nicht wiederaufzurichten. Zu Franz Lehárs Operettenmusik geben dann in der Arena selbstbewusste Damen allen Herren einen Korb – niemals Ja zu deren Herrschaft. Nein, sie wollen nicht mehr unter männlicher Allmacht leben und stete Bevormundungen und Rücksetzung erleiden. Deshalb haben sie einen Frauenbund gegründet unterm Motto: „Los vom Manne – LvM!“ Was heißt: Selbst ist die Frau! Und das ist gut so – keine Frage.

Wie es sich für die Operetten der Jahrhundertwende nun gehört, funkt zwischen Individuum und Ideologie allenthalben das Gefühl: So ist das Los vom Manne obsolet, und enthusiastisch fordert der Jungverliebte: „Los vom Mumpitz – LvM!“ Fort mit den Trümmern (siehe Bühnenbild) und mit Herz neue Prinzipien etabliert – Hochzeit inklusive.

Kaum glaublich, dass bereits vor mehr als hundert Jahren „Die Juxheirat“ ihre Uraufführung erlebte (1904 in Wien). Doch zum Publikumserfolg kam es dazumalen nicht, denn Lehárs Werk stand sogleich im Schatten der „Lustigen Witwe“ seiner Feder, die in Handlung und Musik weitaus gefälliger war. Auch spielte die Handlung übersee in einer neuen Welt, da waren halt die Sitten loser. Außerdem sorgte das Textbuch Julius Bauers dazumalen für einen Skandal – „Ich stutze und putze den Nagelrand“. Seitdem fristete „Die Juxheirat“ ihr Dasein im Musikarchiv, selbst die cd-Einspielung 2016 beruht auf einer nur halbszenischen Inszenierung in Bad Ischl. Leipzig hat es nun Regisseur Thomas Schendel und Dramaturgin Nele Werner zu verdanken, dass diese vergessene Hochzeitsparty auf die Muko-Bühne fand, wo diese Operette zweifelsohne hingehört: Geschichte ist sehr herzig und frivol, Lehárs Musik eingängig und mitzusummen. Die Inszenierung wirkt augenzwinkernd süffisant wie weiland (unfreiwillig) die Filmschnulzen aus Ufa- und Wirtschaftswunderzeit. Die Darsteller wissen mit Spiellaune und Gesangskultur zu beeindrucken. Und ein Ignorant, der die inhaltlichen Parallelen zur Gegenwart nicht lächelnd zur Kenntnis nähme.

Gelangweilt sucht Automilliardär Thomas Brockwiller (sehr nuanciert Michael Raschle) nach Abwechslung. Sohn Arthur (frohen Mutes Jeffery Krueger) veranstaltet eine Party nach der andern. Tochter Selma (distinguiert Lilli Wünscher) kotzt diese männliche Show sehr an und sie schart ihre Busenfreundinnen um sich: Miss Edith (wandlungsfähig Julia Ebert), Miss Phoebe (zunächst distanziert Mirjam Neururer) und Miss Euphrasia (emanzipiert Nora Lentner). Unter falschem Namen schleicht sich Selmas Rivalin (doppelgesichtig Theresa Maria Romes) ein. Scheinbar sind sich die Frauen einig und wollen von den Männern nichts mehr wissen, die da liebenswert und liebeswerbend erscheinen: Philly, der Filou (überlebendig Andreas Rainer), Harold, Selmas falsch verstandner Held (oft perplex Adam Sanchez). Nun wird hin- und hergetändelt, missverstanden und gemotzt. Selma ist gar bereit, die Ehe einzugehen, um die Männerlügen zu entlarven. Natürlich wird sich Herz zum Herzen finden. Untermalt wird dieses Glück von eingängigen Melodien, die zwar keinen Ohrwurmcharakter haben, doch sich durchaus zum Schwelgen eignen. Dirigent Tobias Engel verfällt nicht dem der Partitur innewohnendem Schmalz, das Orchester weiß die Akzente punktgenau zu setzen. So erklingt die verstaubte Mär sehr gegenwärtig, nicht überironisiert, nicht kitschig. Hieß es zu Beginn „Genug, ihr sprengt mir ja die Ohren“, so meinen wir: „Es hört sich wie ein Märchen an“ und macht auf hohem Niveau sehr gute Laune.

Henner Kotte

ANNOTATION

„Die Juxheirat“, Operette in 3 Akten von Franz Lehar, Text Julis Bauer

Musikalische Leitung Tobias Engeli, Inszenierung Thomas Schendel, Choreografie Mirko Mahr, Bühne Stephan von Wedel, Kostüme Julia Burkhardt, Choreinstudierung Mathias Drechsler, Dramaturgie Nele Winter, Chor MuKo, Ballett MuKo, Orchester

Solisten: Selma, Baronin von Wilfort Lilli Wünscher, Juliane von Reckenburg (Miss Grant) Theresa Maria Romes, Miss Phoebe Mirjam Neururer, Miss Edith Julia Ebert, Miss Euphrasia Nora Lentner, Harold von Reckenburg Adam Sanchez, Thomas Brockwiller Michael Raschle, Philly Kaps Andreas Rainer, Captain Arthur Jeffery Krueger, Sheriff Huckland Milko Milev, Haushofmeister Mario Ramos

Weitere Termine

20.11.2021, 19:00 Uhr

21.11.2021, 15:00 Uhr und 19.30 Uhr  

CREDITS

Foto: (c) Tom Schule

veröffentlicht 1.11.2021

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