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Die Schönheit der alltäglichen Dinge

Die Schönheit der alltäglichen Dinge

„Olga Costa. Dialoge mit der mexikanischen Moderne“ vom 1. 12. 2022 bis 26. 3. 2023 im Museum der bildenden Künstle Leipzig

Die europaweit erste Gesamtwürdigung des Werkes der mexikanischen Malerin und Künstlerin Olga Costa erfolgt noch bis März nächsten Jahres in einer üppigen Ausstellung im Museum der bildenden Künstle Leipzig. Sie führt 80 Leihgaben zusammen und hat das Zeug zum Publikumsmagneten zu werden.

Von Barbara Röhner  

La vendedora de frutas (Die Obstverkäuferin), 1951, Acervo Museo de Arte Moderno. INBAL / Secretariá de Cultura, © VG Bild-Kunst Bonn, 20022 / SOMAAP

Angesichts Olga Costas Geburtsort und -jahr Leipzig 1913 mag diese Ausstellung zu den Jubiläumsaustellungen gehören. Doch liegt der Grund der jetzigen Präsentation vor allem in Olga Costas Werken selber und ihrer beeindruckenden Stärke, mit leisen Tönen die Positionen der Frau im Kunstbetrieb des 20. Jahrhunderts zu behaupten. Auch wenn ihre Malerkollegin Frida Kahlo, die ebenfalls mit zwei Werken in der Ausstellung vertreten ist, international einen gewissen Kultstatus besitzt, kann dieser trotz aller Bemühungen nicht über ein bis heute bestehendes Ungleichgewicht im männerdominierten Kunstbetrieb hinwegtäuschen.

Zwar ist hierzulande Olga Costas Werk bislang kaum bekannt, doch besaß und besitzt sie bis heute in ihrer Wahlheimat Mexiko ein hohes Ansehen. Neben zahlreichen Vervielfältigungen in Katalogen und sogar auf Vorderseiten von Schulbüchern wurden ihre Werke in renommierten Ausstellungen im In- und Ausland gezeigt. Mitte der 1950er Jahre war ihr berühmtestes Werk „Frutas Mexinanas“ (Mexikanische Früchte) sogar in Ost und West des geteilten Deutschlands zu sehen. 1990 bekam erhielt sie schließlich den Premio Nacional de Ciencias y Artes (Nationalpreis für Wissenschaft und Kunst) der Kategorie Bildende Künste.

Vielmaschiges Beziehungsgeflecht

Gründe genug, ihr Werk erstmals in Leipzig, Deutschland und Europa zu reflektieren und dabei nicht nur nebenbei einen Blick über den Tellerrand auf die mexikanische Moderne zu werfen. Denn wie der Titel bereits verrät, wird mit dieser Ausstellung ein breites Spektrum der Beziehungen von Olga Costas Werk aufgetan, welches über ihren kurzzeitigen Lehrer Carlos Merida, ihrem Malerkollegen und Ehemann José Chávez Morado, Diego Rivera, Frida Kahlo, Rosa Rolanda und zahlreiche weitere Künstlerinnen Mexikos, der Grafiksammlung des MdbK des „Taller de gráfica popular“ bis hin zu Werken von Arno Rink und Frieder Heinze reicht.

Jene Beziehungsgeflechte mögen allein schon vielfältige neue Themen eröffnen, doch kann diese Ausstellung freilich nur einen Anreiz geben, sich intensiver mit der mexikanischen Moderne und deren Einflusskreise auseinanderzusetzen. Schließlich gilt das Hauptaugenmerk einer in Leipzig geborenen und in Berlin aufgewachsenen Künstlerin, die als 12jähriges Kind mit ihrer Familie ukrainisch jüdischen Wurzeln nach Mexiko kam.

„Doch wer ist aber diese bekannte Unbekannte“ und warum hat gerade diese „Einwanderin“ im „paternalistisch geprägte(n) Mexiko der Nachkriegsjahre“ den Auftrag des zu ihrem Hauptwerk avancierten Bildes „Frutas mexikanas“ bekommen, fragt gleich zu Beginn des Kataloges zur Ausstellung der Museumsdirektor des MdbK Stefan Weppelmann.

Olja Costa, Autorretrato (Selbstbildnis), 1947, Colección Andrés Blaisten, © VG Bild-Kunst Bonn, 2022 / SOMAAP

Um Antworten auf diese Fragen zu finden, lohnt sich eine Begegnung der ausgestellten Werke samt Begleittexten an den Wänden und im Katalog. Schon der Blick der Künstlerin in ihrem Selbstporträt von 1947 vermag die Besucher und Besucherinnen gleich zu Beginn der Ausstellung in ihren Bann zu ziehen. Blaue kristallklare blaue Augen richten sich aus der Halbperspektive auf die eintretenden Gäste. Olga Costa porträtierte sich hier in ihrem 34. Lebensjahr als selbstbewusste Malerin mit typisch mexikanischem Schmuck, Kleidung und Haartracht, nachdem sie zwei Jahre zuvor ihre erste große Einzelausstellung bestreiten konnte. Durch die positive Resonanz und neu gewonnene Aufmerksamkeit fühlte sie sich zu weiteren Schritten innerhalb der Malerei Mexikos verpflichtet, was sie mit der Erlangung der mexikanischen Staatsbürgerschaft im selben Jahr des Selbstporträts besiegelt. Diese Schritte können womöglich mit den drei Toren assoziiert werden, die sich im Hintergrund des Selbstbildnisses in die Weite der Landschaft öffnen. Die mexikanische Landschaft mit ihren ganz eigenen Formationen, Vegetation und Früchten, aber auch die kulturell tief mit der Landschaft verwurzelte indigene Bevölkerung bilden fortan die Hauptmotive ihres Schaffens.

Obwohl sie nur nach drei Monaten das Malereistudium an der renommierten Escuela Nacional de Arte Plásticas in Mexico City abbricht und auch andere Kunstkurse nur von kurzer Dauer waren, eignet sie sich einen persönlichen Stil im Spannungsfeld mexikanischer Kunstströmungen an, die schließlich auf so viel Zuspruch stößt, dass sie bereits zu Beginn der zweiten Hälfte des 20. Jh. den Auftrag zu ihrem monumentalsten Werk „La vendedora de frutas“ (Die Obstverkäuferin) vom Instituto Nacional de Bellas Artes y Literatura erhielt. Freilich spielten auch ihr akademisches Umfeld, ihre Ehe mit dem Maler und Aktivisten José Chávez Morado, die Änderung ihres Geburtsnamens Kostakowsky in Costa, ihre Mitgliedschaft in der Taller des Gráfica (Werkstadt der Volksgrafiker) und ihr künstlerisches Netzwerk samt freundschaftlichen Beziehungen zum Organisationsteam eine Rolle, doch dürfte ihre traditionsreiche, realistische, farbenfrohe und volksnahe Auffassungsgabe der entscheidende Faktor für diesen Auftrag zur Präsentation Mexikos in einer Wanderausstellung durch Europas Metropolen gewesen sein. Denn hier verband sich ihr Werk aufs engste mit den ebenfalls präsentierten prähispanischen, volkstümlichen, kolonialen und postkolonialen Kunstwerken, die ein Gesamtbild mexikanischer Identität und Ästhetik, aber auch die wirtschaftliche, politische und soziale Stabilität wiederspiegeln sollten. Aller Staatsnähe zum Trotz schuf sie damit jedoch auch ein Bild weiblicher Stärke und individueller Schönheit, wie sie in jedem Menschen anzutreffen ist. So verwundert es nicht, dass gerade dieses Bild der Obstverkäuferin zum berühmtesten Werk innerhalb Mexikos avancierte.

Reduktion auf die wesentlichen Formen

Mit Berühmtheit dieses Bildes blieb allerdings Olga Costas Schaffen selbst wie die Vielfalt ihres Gesamtwerkes außerhalb mexikanischer Kunstkreise außer Acht. So finden sich neben poetischen Stillleben, üppigen Frauenakten, Porträts indigener Frauen und Landschaften realistischen Stils auch surrealistische Bildauffassungen oder Abstraktionen. Gerade im Sujet der Landschaftsdarstellung findet Costa ein künstlerisches Experimentierfeld. Zu nennen sei hier beispielsweise die Mond beschienene „Isla en el aire“ (Insel in den Lüften) aus dem Jahre 1956 nahe der metaphysischen Moderne oder die abstrahierten „Campos labrantios (Ackerflächen) aus dem Jahre 1968. Aber auch ihre Stillleben seit den späten 1960er Jahren geben Einblick in die Vielfalt ihrer künstlerischen Darstellungsweise. Verdeutlichen einerseits ihre gemalten Obstschalen und ihre Wandteppiche in leuchtendem Colorit eine Reduktion auf wesentliche Formen, offenbaren die detaillierten Tuschezeichnungen vom Flechtwerk auf Steinen aus den 1970er Jahren eine fast mikroskopisch genaue Präzision in Erdtönen. Costa legt sich stilistisch nicht fest, sondern lotet verschiedene malerische Praktiken aus, die in ihrer neuen Heimat aber auch auf Reisen in Fernost kennengelernt hat.

Dass sich dennoch eine Handschrift Costas erkennen lässt, steht ihrer Experimentierfreue nicht entgegen. Es ist eine Handschrift, die das Leben selbst, die Verbundenheit mit der Natur und den Willen zum Bewahren von Natur und Kultur zum Ausdruck bringt.

Dieses Schätzen und Bewahren deckt sich schließlich mit ihrer Sammelleidenschaft für Artefakte, Steine und Pflanzen. Der Fokus liegt in Costas Malerei somit auf dem Dargestellten selbst – die Schönheit der einfachen, alltäglichen Dinge, die Landschaft und ihre indigene Bevölkerung, welches sie im Jetzt zu fassen versucht, um der Nachwelt erhalten zu bleiben.

Annotation

„Olga Costa. Dialoge mit der mexikanischen Moderne“ vom 1. 12. 2022 bis 26. 3. 2023 im Museum der bildenden Künstle Leipzig

www.mdbk.de

Öffnungszeiten:
Dienstag, Donnerstag bis Sonntag: 10 bis 18 Uhr
Mittwoch: 12 bis 20 Uhr

Eintritt:
10 Euro (ermäßigt 5 Euro); Abendticket (eine Stunde vor Schließung) 5 Euro

Credits

Text: Dr. Barbara Röhner, Kunsthistorikerin und Kuratorin, Leipzig

Fotos: oben Ausschnitt aus Olja Costa, Autorretrato (Selbstbildnis), 1947, Colección Andrés Blaisten, © VG Bild-Kunst Bonn, 2022 / SOMAAP

Blick in die Ausstellung © Autorin

veröffentlicht: 4.12.2022; überarbeitet 5.1.22022

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