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Leipzig: „La Cenerentola“ als puppiger Augenschmaus

Leipzig: „La Cenerentola“ als puppiger Augenschmaus

Oper Leipzig entdeckt für kurze Zeit noch einmal ihre romantische Seite wieder

Mit freudigem Beifall begrüßte das Leipziger Publikum seine Aschenputtel-Inszenierung auf der Bühne zurück. Vor acht Jahren von der australischen Regisseurin Lindy Hume und Ausstatter Dan Potra kreiert hat diese eigenwillige „La Cenerentola“ ihren Charme und die exklusive Ausstrahlung nicht verloren. Märchen wollen als Märchen gesehen werden.

Von Moritz Jähnig

Charakteristisch für die Leipziger „La Cenerentola“ auf der optischen Seite sind die farbenprächtigen Kostüme

Aschenputtel ist ein Urmärchen, vielleicht der Traum der Träume, nicht nur von Mädchen: unvermittelt aus dem bedrückenden Jetzt erhoben zu werden in die Sphäre von Reichtum und Macht, durch die Kraft der Liebe. Die Schauspielerin Grace Kelly, die Kindergärtnerin Diana Spencer, der Fitnesstrainer Daniel Westling liefern scheinbar den Beweis, dass solche kitschigen Märchen wahr werden können.

„La Cenerentola“
Als Künstler bereits auf dem Höhepunkt seines Erfolges angekommen, komponierte Gioachino Rossini 1817 zur Eröffnung der römischen Karnevalsaison eine Oper auf Grundlage des berühmten Aschenputtel-Stoffes: Angelina, genannt Cenerentola, darf nicht mit ihrem Stiefvater Don Magnifico und dessen Töchtern Tisbe und Clorinda auf den Ball des Prinzen. Doch Alidoro, der geheimnisvolle Lehrer des Prinzen, lenkt die Aufmerksamkeit seines Herren auf das Mädchen. Er verschafft ihr Zutritt zum Fest.
Sie trifft den scheinbaren Diener des Prinzen wieder, der ihr schon im Hause Don Magnificos so offen zugetan war und sie ihm. Als Pfand ihrer Zuneigung übergibt sie ihm einen Armreif – nicht ahnend, dass der Diener niemand anderes als der Prinz selbst ist!
Nicht Magie oder die Gunst einer höher gestellten Person führen zum Glück, sondern die Tugend und Kraft einer starken Frau.

Wie Märchen wahr werden
Gioachino Rossini vertonte eine milde, überzuckerte Version des Aschenputtel-Stoffes. Mit soviel Süße umzugehen, ist nicht jedermanns Sache. Im nahen Weimar hat das Nationaltheater die Handlung mit dem Thüringer Märchen vom Wiederauferstehen der Anna-Amalia-Bibliothek zu einem lustig-launigen, fantastischen Sinnenrausch außerhalb jeder Realität erhoben. An der traditionsbewussten Semperoper in Dresden wurde die Handlung vor zwei Jahren demonstrativ gegenwärtig und „modern“ durchgespielt.

Leipzig gibt sich niedlich
2016 inszenierte in Leipzig ein Team mit guten Argumenten im dramaturgischen Gepäck das Märchen vom Aschenputtel geradezu märchenhaft schön. Im ersten Akt, vom Libretto vorgegeben als „Saal des Barons Magnifico“ und in Dresden eine Großküche, wird ein Puppenstuben-Kaufmannsladen aufgebaut. Alles darin ist herzallerliebst plüschig und niedlich eingerichtet. Die holen Schwestern spielen mit sich selbst. Der stolze, aber überforderte Papa sitzt in der Stube überm Laden und blickt selbstgefällig auf seine Töchter. In dem aufs Hübsche fixierten Umfeld ist selbst das Elend der zu einem Dasein als Magd verdammten Stieftochter Angelina nicht wirklich elend.

Don Magnificos „gute“ Töchter Tisbe und Clorinda lieben den Putz

Detailverliebte Gestaltung
Dieses Milieu zauberte Dan Potra. Der international tätige Designer ist dem Haus am Augustusplatz lange verbunden („Carmen“ 2018, „Don Pasquale“ 2014). Er legt Wert auf Details und hat sich damit ins Gedächtnis eingeschrieben.
In „La Cenerentola“ setzt Potra wie auch in den beiden anderen Inszenierungen genial die Vorstellungen von Lindy Hume um. Die australische Opernregisseurin erfreut sich nach eigenen Bekundungen an den Royals aus dem Mutterland des Commonwealth. Mit Fähnchen und Transparenten frischt sie lächelnd ihre und unsere Erinnerungen an das viktorianische Zeitalter auf.

weiter Vorstellungen….
… an der Oper Leipzig

Freitag, 7. Juni, 19.30 Uhr
Freitag, 14. Juni, 19.30 Uhr
Sonntag, 16. Juni, 17.00 Uhr

Prachtvolle Kostüme und ironische Anspielungen
Die mit feinsten Einzelheiten drapierten Kostüme dürfen ohne Übertreibung prachtvoll genannt werden. Sie lösen in erster Linie die Puppenstuben-Anmutung aus, die sich durch alle Szenen zieht. Dazu mag man stehen, wie man will – es sieht fantastisch aus und wird von feiner Ironie durchzogen. Wenn zwischen dem vom Herrenchor (Einstudierung Thomas Eitler-de Lint) gespielten weiblichen Gesinde ein Vollbart unterm Spitzenhäubchen hervorblitzt, mischen sich Gegenwartsgedanken in die Rossini-Leichtigkeit.

Herausragende Darbietungen
Marc-Oliver Oetterli als Don Magnifico geht spielfreudig in die Vollen. In der zweiten anspruchsvollen Basspartie der Oper meisterlich, wie in vorherigen Aufführungsstaffeln, Sejong Chang. Den dritten Bass, Dandini, singt Jonathan Michie. Mit den beiden Schwestern Clorinda und Tisbe, sängerisch herausfordernde und gestalterisch dankbare Aufgaben aus dem Rossini-Personal, entzünden Olga Jelínková und Nora Steuerwald ein groteskes Feuerwerk. Gesanglich überragend ist Yajie Zhang in der Titelrolle, die über eine zur Rolle passende geerdete Stimme mit großer Strahlkraft verfügt. Yajie Zhang ist in Bühnenpräsenz und Ausstrahlung, aber auch in der Stimme, die sich im Laufe des Abends immer mehr festigt, eine großartige Cenerentola. Ihr zur Seite bezaubert Patrick Kabongo als Don Ramiro souverän, von einnehmender Ausstrahlung das Publikum mit strahlenden Klängen. Die gefürchteten, weil rasend schnellen Ensembles sind für jede Besetzung eine Herausforderung auch bezüglich der Koordinierung mit dem Graben. Der ist in dieser Aufführung übrigens nicht so tief. Man sieht die Instrumentalisten und die Dirigentin Anna Skryleva. Die Magdeburger GMD dirigiert in Leipzig das Gewandhausorchester wie schon in der Wiederaufnahme von Strauss‘ „Elektra“.

Annotation

“La Cenerentola”. Dramma giocoso in zwei Akten von Gioacchino Rossini, Text von Jacopo Ferretti, nach Charles Perraults »Cendrillon ou la Petite Pantoufle de verre« (»Aschenputtel oder der kleine Glasschuh«, 1697). Oper Leipzig. Musikalische Leitung Anna Skryleva / Samuel Emanuel, Inszenierung; Lindy Hume, Choreografie: Friedrich Bührer, Bühne, Kostüme: Dan Potra, Licht: Matthew Marshall, Dramaturgie: Elisabeth Kühne, Choreinstudierung: Thomas Eitler-de Lint

Besetzung

Angelina: Yajie Zhang, Clorinda: Olga Jelínková, Tisbe: Nora Steuerwald / Sandra Janke, Don Ramiro: Patrick Kabongo, Dandini: Jonathan Michie, Don Magnifico: Marc-Olivier Oetterli, Alidoro: Sejong Chang, Herren des Opernchores, Gewandhausorchester

Premiere 19.3.2016; besuchte Vorstellung Wiederaufnahme 31.5.2024; veröffentlicht 2.6.2024; aktualisiert 7.6.24

Credits

Text: Moritz Jähnig, freier Theaterkritiker, Leipzig; Herausgeber

Foto: © Kirsten Nijhof

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